Statistiklüge Jahrhundertsommer 2015

Statistiklüge Jahrhundertsommer 2015

Mit Superlativen wie „Jahrhundertsommer“ überschlagen sich Medien wie Touristiker  angesichts des traumhaften Sommerwetters. Aber spätestens seit der Schule kennen wir die Schwalbe, die „noch keinen Sommer“ macht. Und auch wenn sich das Wetter wochenlang von seiner ungewöhnlich schönen Seite gezeigt hat: Es ist ein Sommer wie früher und wie er immer wieder mal sein wird.

Die Sommerfrische ist zu einer Jagd nach immer neuen Rekorden verkommen. In einem Gastkommentar im Wirtschaftsblatt geht der Geschäftsführer der Conos GmbH, Martin Schumacher, touristischer Schönmalerei und dem Jahrhundertsommer näher auf den Grund. Wir bringen weitere Argumente.

Hauptsache volles Haus

Vermutlich können Sie sich noch an ihre Kindheit erinnern, als ihre Mutter für die Familienferien Zimmer mit Frühstück im „Gästehaus Waldesruh“ reserviert hat, oder? Brieflich oder telefonisch. Mobiltelefon und Telefax waren spanische Dörfer, von Email oder Buchungsplattformen ganz zu schweigen. Kaffee und Kuchen gab’s in Cafes und Konditoreien, zu Abend gegessen wurde in örtlichen Gasthäusern. Danach standen Disco- oder Barbesuch am Programm. Alles zu einem gut kalkulierten Preis. Und heute? Programmpunkte rund um die Uhrsollen den Gast im eigenen Haus halten und konsumieren lassen. Daher sind Kaffeehäuser Mangelware (denn nur einheimische Besucher sind zu wenig), Wirtshäuser und Restaurants werden weniger und à la Carte kann oft nur noch „gegen Voranmeldung“ gegessen werden.

Billigangebote für ähnlich hohe Auslastung wie im Winter

Freuten sich damals neben Vermietern auch andere  (etwa Vereine bei Dorffesten – Stichwort „Umwegrentabilität“) über ein willkommenes Zubrot, dann sind es jetzt vermehrt Buchungsportale. Sie „schneiden“ bei jeder Buchung mit. Ob die oft zitierte „Wertschöpfung“ überhaupt erreichbar ist, wenn Betriebe ihre Dienstleistungen – speziell im Sommer – oft zu Niedrigstpreisen anbieten, weil sich das Konsumverhalten der Gäste geändert hat und eine Aufenthaltsdauer von einer Woche heutzutage eine Seltenheit ist? Intelligent investieren und gewinnbringend vermieten wird bei Preisen von 35 Euro pro Person und Nacht mit Halbpension und Nachmittagsjause im Hotel zunehmend schwieriger (manchmal gibt’s sogar noch ein Paar Wanderschuhe obendrauf). Privatvermieter dürften bereits Überlegungen angestellt haben, den Sommer über selbst ins Hotel zu übersiedeln und sich dort verwöhnen zu lassen. Gesteigerte Besucherzahlen oder volle Betten mögen zwar gut klingen, beim Vergleich der Preispolitik von Sommer und Winter ist der Begirff „Jahrhundertsommer“ allerdings ungerechtfertigt.

Spezialisierung muss authentisch sein

Gäste der Zukunft (c) Hintertuxerhof
Gäste der Zukunft (c) Hintertuxerhof

Erfreulicherweise gibt es aber immer wieder Lichtblicke in der heimischen Hotellerie, die sich der „Geiz ist g…“ Mentalität entziehen und ihr eigenes Süppchen kochen. Beliebt für den sehr großzügig angelegten Kinderspielplatz, hat sich etwa der „Hintertuxerhof“ 2011 ein Facelifting der anderen Art verpasst. Aus einem ***Hotel wurde ein ***S Kinder- und Familienhotel. Das äußere Erscheinungsbild ist unverändert geblieben, ebenso die Anzahl der Gäste. Diese fühlen sich jetzt in geräumigeren Zimmern noch wohler. „Eines vorweg. Alle müssen sich spezialisieren. Ob auf Golf, Wandern, Familien oder was auch immer. Es genügt nicht mehr, jedes Zimmer möglichst oft zu verkaufen. Dafür ist dieses Produkt zu sehr austauschbar“, so Christian Kofler, der mit  Frau Agnes, Sohn Christian und engagierten Mitarbeitern das Hotel als Kinder- und Gletscherhotel führt. „Kinder sind die Gäste der Zukunft. Es gibt doch nichts Schöneres, als sich schon in jungen Jahren im Urlaub mit den Eltern wie daheim zu fühlen. Menschen denken meist an die schönen Zeiten des Lebens“.

Unter Wohlfühlen (engl. Wellness) verstehen die Gastgeber neben Sauna, Dampfbad, Massagen und Fitnessraum auch Geborgenheit oder Kinderbetreuung, die täglich von 9 bis 21 Uhr angeboten werde. „Dafür wird auch gerne mehr bezahlt“. Positiv schlägt sich diese Philosophie auch bei den Nächtigungszahlen nieder (die bei Tourismusorganisationen, Statistikern oder Banken nach wie vor als Erfolgsindikatoren Nummer eins gelten): Viele bleiben über einen längeren Zeitraum und kommen wieder. Denselben Anspruch wie für die Urlauber erhebt der Chef auch für das Personal, „denn nur zufriedene und gut bezahlte Mitarbeiter bringen auch glückliche Gäste, die sich wohlfühlen. Dieses Qualitätsniveau wollen wir unbedingt halten“.

Regulierungswut erschwert Kreativität und Investitionen

Weitblick mit Perspektive (c) Grandhotel Lienz
Weitblick mit Perspektive (c) Grandhotel Lienz

Gastgeber aus Leidenschaft ist auch Hugo Westreicher. Ob seine Kinder die Arbeit im Grandhotel Lienz und im Hotel Cervosa in Serfaus eines Tages weiterführen werden, ist allerdings ungewiss. (Über-)Regulierungen und die Steuerpolitik der Bundesregierung würden der kommenden Generation ein Weiterführen von Betrieben erschweren, wie er in einem offenen Brief an Bundeskanzler Faymann und Wirtschaftsminister Mitterlehner auf einer Internet-Plattform besorgt zum Ausdruck gebracht hat. Darin spricht er von „bisher schon schlechten wirtschaftlichen, sowie bürokratischen Rahmenbedingungen“, zu denen nun „wieder neue und erschwerte Rahmenbedingungen“ hinzukommen. Westreichers’ Bauchschmerzen werden beim Gedanken an die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 13 Prozent, eine neue Grunderwerbssteuer oder die Verlängerung der AFA nicht gerade besser. Zu verdanken sei dies der Europäischen Union, aber auch dem österreichischen Nationalrat und der Tiroler Landesregierung.

Lifestyle in traditonaller Umgebung (c) Gandhotel Lienz
Lifestyle in traditonaller Umgebung (c) Grandhotel Lienz

„Seit fünf Jahren herrscht eine regelrechte Regulierungswut. Immer neue Auflagen werden erteilt und Verordnungen erlassen. Der Gesetzgeber stellt die Betriebe vor vollendete Tatsachen. Diese haben sich danach zu richten. Sinnhaftigkeit und Finanzierung spielen in den Überlegungen dazu offenbar gar keine Rolle“, so Westreicher in einem Telefoninterview. Eine völlig verwirrende Nicht-Rauchergesetzgebung – ein Jahr gilt dies, ein Jahr gilt jenes, 2018 wird dann sowieso weider alles anders – oder auch die europäische Allergenverordnung (Menschen mit Allergien haben im Normalfall von sich aus Küchenchef oder Kellner informiert, und zwar ohne Vorgabe aus Brüssel) sind für den Schreiber dieser Zeilen Überregulierungen mit bürokratischem Aufwand. Spürbar auf das Portemonnaie wirken sie sich höchstens bei findigen Rechtsanwälten aus, die jeden noch so winzigen „Verstoß“ wohl umgehend auf dem Klagsweg in bare Münze umwandeln wollen. Amerika lässt grüßen!

Abbau von Blockaden

In den Statistiken der heimischen Touristiker sind Ankünfte oder Nächtigungen schwarz auf weiß zu lesen. Speziell Steuerberater und Banken sprechen aber lieber von „Wertschöpfung“ und meinen damit eigentlich „Kostenwahrheit“. Aufgrund unserer Schilderungen machen sich allerdings Nächtigungszahlen sehr viel besser. Gute Einfälle engagierter Unternehmer scheitern aber oft an fehlender Risikofreude. Dabei wären unkonventionelle Konzepte dringend gefragt. Ideen abseits von Tiroler Abend oder Almabtrieb. Genau da beisst sich die Katze in den Schwanz. Erst wenn Hürden abgebaut und beispielsweise auch Lohnnebenkosten gesenkt werden – damit Mitarbeiter und Gästen wieder mehr Geld zum Konsumieren haben – dann sind Erfolgsmeldungen wie jene über so genannte „Jahrhundertsommer“ auch tatsächlich gerechtfertigt.

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Von in Tirol