Tirol isch lei oans, oder: Wie ich lernte Tirol zu lieben!

Manchmal trifft es jemanden hart. Zum Beispiel mich. Seit meiner Kindheit lebe ich in Tirol. Aufgewachsen bin ich an der bayerischen Grenze in einer Kleinstadt, später bin ich dann nach Innsbruck gezogen. In dieser Stadt, die sich selbst als die Hauptstadt der Alpen betitelt, bin ich sesshaft geworden. Zu dieser Stadt verband mich eine Art von Hass-Liebe. Ich liebe die Berge und die Landschaft ringsum. Und, ja eh: Die Stadt selbst kann sich schon auch sehen lassen. Aber manchmal wusste ich nicht, was diese Stadt von mir wollte und im Gegenzug auch nicht, was ich von ihr erwarten konnte. Dennoch war  ich noch hier. Warum, das wusste ich immer weniger.

Kufstein: In dieser Stadt bin ich aufgewachsen.

Ich kann mich jedenfalls noch sehr gut an meine Kindheit in einer Kleinstadt nahe der bayerischen Grenze erinnern. Ich kann nicht sagen, dass alles daran schlecht war. Ganz und gar nicht. Aber wenn ich an die Stadt selbst denke, dann kommt mir das Bild einer puren Oberfläche in den Sinn. Eine Stadt, die sich nur betrachten lässt, die einem aber nichts gibt und nichts anbietet. Wie eine Hülle ohne Inhalt. Versucht man sich dieser Stadt zu nähern, dann bleibt nur ein Gefühl der Leere und der Inhaltslosigkeit.

Später kam dann Innsbruck. Im Vergleich zu meiner Heimatstadt fühlte sich Innsbruck wie eine große Stadt an. Nach wenigen Monaten war klar: Innsbruck ist keine große Stadt, fühlt sich aber zum Teil städtisch an. Es gibt urbane Räume und Orte, die sich nach Großstadt anfühlen. Innsbruck versucht zumindest, mehr oder weniger erfolgreich, großstädtische Konzepte zu imitieren und zu transferieren. In Sachen Kultur gibt es in Innsbruck einige gute Sache, mehr aber noch mittelmäßiges.

Die Kulturszene in Innsbruck ist hermetisch. Am liebsten feiert sie sich selbst und ihre Selbstbezüglichkeit. Die Ausnahmen kann man suchen, finden sich aber nur äußerst selten. Wenn ein Bekannter Meinungsmacher ruft, lässt sich in Innsbruck die breite Masse der kulturaffinen Menschen zu fast allem hinreißen.

Durch die relative Überschaubarkeit von Innsbruck ist nicht jede Meinung möglich und erwünscht. Es gibt einen Meinungskonsens in der Kulturszene. Vermutlich, weil diese Geschlossenheit suggerieren möchte. Vermutlich auch weil diese Szene froh ist, überhaupt Gelder zu bekommen und überhaupt Kultur auf die Beine stellen zu können.

Diese sogenannte „Off-Szene“ feiert sich dann auch ob ihres vermeintlich revolutionären Charakters. Auf der anderen Seiten gibt es aber auch Kultur in Innsbruck, die hochsubventioniert zumindest qualitativ bessere Ergebnisse und Veranstaltungen anbietet. Allzu viel Bewegung und Fortschrittlichkeit ist auf beiden Ebenen nicht vorhanden. Eher gleicht es einem verwalten der vorhandenen Möglichkeiten, damit einem nur ja nichts an Förderungen und sonstigen Geldern weggenommen wird.

Ich war also in Innsbruck angekommen. Beschäftigte mich mit der Kulturszene und deren Bedingungen. Allein das zeigt ja schon an, dass ich mich verheddert hatte. Verrannt in etwas, das es eigentlich gar nicht wert war, dass man darin so viel Zeit investierte. Ich hatte zunehmen das Gefühl, dass mich diese Fragen zu sehr beschäftigten und dass darunter mein Blick auf die landschaftliche Schönheit in Tirol und rund um Innsbruck herum zu leiden begann. Ganz so als würden all diese Fragen die Schönheit rings um mich herum „überschreiben“. Diese Diskurse begannen alles zu überlagern. Plötzlich hatte ich Sehnsucht. Sehnsucht nach der Natur. Sehnsucht nach Unmittelbarkeit.

Eine wunderschöne Stadt, die Berge quasi vor der Haustüre.

Mir fiel das Buch „Von realer Gegenwart“ von George Steiner ein. Ohne jetzt auf diesen Text einzugehen lässt sich schon allein am Titel eine Sehnsucht ablesen, die ich mit ihm teile: Ich wollte wieder die Realität empfinden. Unvermittelt, ganz direkt. Ich wollte meinen Kopf frei kriegen. Wieder ganz direkt wahrnehmen und empfinden. Nichts sollte mich davon ablenken. Meine Gedanken sollten sich nicht mehr um den urbanen Raum und dessen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten drehen.

Die Lösung um Ruhe zu finden und Schönheit zu erleben: Wandern!

Ich begann zu wandern. Immer mehr und öfter aus der Stadt hinauszugehen. Das ist in Innsbruck ja nun wirklich nicht schwierig. Wanderwege, Berge und Erholung fand sich eigentlich schon vor meiner Haustüre. Interessant war aber, dass ich auch dort den einen oder anderen Kulturschaffenden beim Wandern traf. Die strikte Trennung zwischen Natur, die sich mir in ihrer puren Schönheit und „Diskurslosigkeit“ zeigte, und Kultur, die ich zwar liebte mich aber zunehmend auch belastete, war so also nicht zu halten.

Aus dieser Erkenntnis ergab sich aber die Frage, wie diese beiden Ebenen verbinden ließen. Gab es gar eine direkte Beziehung zueinander? Mittlerweile bin ich mir sicher: Ja, es gibt diese Beziehung. Und darin liegt auch der Schlüssel dazu begraben, wie ich lernte, Tirol zu lieben. Ich setzte Natur und Kultur in ein Verhältnis zueinander. Fand Ruhe in der Natur und dadurch auch Gelassenheit im urbanen Raum. Fand zunehmend auch mal den Mut, Veranstaltungen auszulassen und statt dessen der Natur den Vorzug zu geben.

Blick auf die Nordkette vom Bergisel aus. Was für ein Blick!

Im Grunde war es sehr einfach: Die Schönheit der Natur war mir ein willkommenes Hilfsmittel um das zu entwirren, was sich in der Stadt und in deren Diskursen für mich verwirrt hatte. Die Natur war und ist ein grandioses „Gegengift“ zu den möglichen „Vergiftungen“ in der Stadt, die einem den Blick auf die Schönheit nehmen. Die Natur schafft Distanz und weitet den Blick. Sie schützt garantiert vor einem Tunnelblick. Ich bin überzeugt, dass es dieser „Tunnelblick“ ist, der dazu führt, dass man sich in etwas verheddert.

Die Natur ermöglicht die Erkenntnis, dass Kultur und urbaner Raum etwas Gemachtes, Konstruiertes ist. Das gibt Gelassenheit weil damit klar wird, dass die im urbanen Raum vorhandenen Diskurse nicht naturgegeben oder unveränderbar sind. Die Natur schärft aber auch den Blick dafür, dass Veränderungen nicht in kurzer Zeit mit Gewalt passieren, sondern auch ganz langsam von statten gehen. Einfach gesagt: Die Stunden in der Natur gaben und geben mir die richtige Haltung mit. Eine Haltung des zurückhaltenden Teilnehmens. Eine Haltung des Abwartens und des Nichts-Überstürzens.

Die Natur in Tirol löst so manchen Knoten. Fast nirgends ist es so leicht wie in Tirol, aus dem urbanen Raum und aus der Stadt in so kurzer Zeit zu fliehen. Nirgendwo sonst ist es so schön, dann wieder in die Stadt zurück zu kommen, mit verändertem Blick. Ein Blick von einem Gipfel herunter macht die Unterscheidung zwischen Wichtigem und Unwichtigem sehr einfach.

Mittlerweile mag ich sogar meine Heimatstadt wieder. Sie ist was sie ist. Mein Empfinden der Langweile in dieser Stadt hatte mehr mit als mit der Stadt zu tun. Es ging um ein verzweifeltes Suchen von Raum. Um die Projektion meines eigenes Ichs und meiner eigenen Wünsche auf einen Raum. Dabei war die Stadt eben so, wie sie war. Ich hätte ihr nur Zeit geben müssen, ich hätte sie in ihrem So-Sein akzeptieren müssen und mehr Gelassenheit an den Tag legen sollen.

Heute ist mir klar, dass ich zum Glück in Tirol lebe. Einem geographischer Raum, in dem man Kultur und Natur in hochinteressante Zusammenhänge setzen kann. Tirol als philosophischer Raum, als ästhetischer Ort, an dem ich sowohl Naturschönheit als zum Teil auch Kultur auf allerhöchstem Niveau erleben kann.

Ich lebe in Innsbruck, einer Stadt, die in der Barockzeit in Sachen Musik und Oper europäischen Rang hatte. Ganz gelassen kann ich mich in diese Tradition einreihen und es genießen, dass es die „Festwochen der Alten Musik“ oder die „Innsbrucker Abendmusik“ gibt, die beide künstlerisch auf hohem Niveau agieren. Ich kann andere Veranstaltungen gelassen ignorieren und abklopfen, was mir gut tut.

Außerdem: Wer sein Schönheitsempfinden an der Natur schult, der empfindet plötzlich auch in der Stadt unmittelbare Momente der Schönheit. Der sieht klarer und reiner, unvoreingenommener!

Danke Tirol, danke Natur, danke Schönheit, die sich in Tirol manchmal von ihrer eindrucksvollste Seite zeigt. Ich lebe gerne hier. Dass ich das sagen würde, hätte ich noch vor einiger Zeit für unmöglich gehalten. Aber es tut gut, das so direkt auszusprechen.

Tirol isch lei oans, oder: Wie ich lernte Tirol zu lieben!
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Von in Tirol

  • Mike Dyna

    Lieber Markus, normalerweise mag ich ja Deine Artikel, aber Du scheinst irgend ein Trauma in Bezug zu Kufstein erlitten zu haben. „Aber wenn ich an die Stadt selbst denke, dann kommt mir das Bild einer
    puren Oberfläche in den Sinn. Eine Stadt, die sich nur betrachten lässt,
    die einem aber nichts gibt und nichts anbietet. Wie eine Hülle ohne
    Inhalt. Versucht man sich dieser Stadt zu nähern, dann bleibt nur ein
    Gefühl der Leere und der Inhaltslosigkeit.“ Etwas starker Tobak für jemand, der seine Heimatstadt mag, findest Du nicht? Kufstein hatte den 1. Kulturveranstaltungsverein „Die Wühlmäuse“ und das bevor es die Arena Wien oder das Treibhaus Innsbruck gab. Kufstein hat für eine Kleinstadt eine sehr lebendige Kulturszene, liegt absolut zentral (70 km bis Innsbruck, 100 km bis München, 100 km bis Salzburg), hat eine wunderbare Landschaft mit 7 Seen in erwanderbarer Umgebung, und hat auch kulinarisch einiges zu bieten. Vielleicht solltest Du Dich Deiner ehemaligen Heimatstadt nicht nur zu nähern versuchen, sondern sie wieder Mal richtig besuchen und erleben. Eventuell einmal einen Ausflug mit Seenwanderung planen, die kulinarischen Köstlichkeiten in der Tiroler Fliegerstube, der Alpenrose, oder im Auracher Löchl probieren, und den Abend mit einem Konzert und einem leckerem Craft-Bier in der Kulturfabrik krönen. Ich garantiere Dir, dann wirst auch Du wieder imstande sein, Kufstein zu mögen. Ich bin sogar der festen Überzeugung, Kufstein muss man einfach mögen.