Fasching im Zillertal: Es geht auch anders!

Jetzt ist schon wieder Fasching. Besser gesagt: Die Faschingszeit, die ja bekanntlich mit dem 11.11. um 11:11 beginnt, findet bald ihren Höhepunkt nur um dann die Ankunft der Fastenzeit anzukündigen. Ich bin ehrlich: Ich mag den Fasching nicht sonderlich gerne. Für mich ist er der Ausdruck einer oberflächlichen Spaßkultur, ohne tieferen Sinn. Aber der Fasching kann auch ganz anders gesehen werden.

Bisher war es immer ganz klar. Wenn der Fasching nahte zog ich mich zurück. In meine eigenen vier Wände, damit ich dem närrischen Treiben ja nur aus dem Weg gehen konnte. Betrunkene Erwachsene waren im Fasching nicht viel besser als betrunkene Jugendliche. Und im Fasching gab es von beiden Sorten mehr als genug. Dazu kam auch noch die Meinung, dass der Fasching im sprichwörtlichen Sinne eben „Narrenfreiheit“ versprach was das eigene Verhalten betraf. Ein paar Tage später und meist schon am nächsten Tag war dann wieder alles wieder wie zuvor. Jetzt mal vom Kopfweh und von der Übelkeit abgesehen.

Kurzum: Ich behaupte der Fasching ist ein kompensatorischer Zeitraum: In diesem Zeitraum wird eben einfach mal komprimiert die Sau raus gelassen, damit man dann das restliche Jahr wieder gut und einwandfrei in dem unterdrückerischen, ausbeuterischen Angestelltenverhältnis funktionieren kann.

Anders gesagt: Solche Zeiträume braucht es, damit keine wirkliche Rebellion stattfindet, sondern damit diese ganz gezielt in einem Zeitraum ausgelebt wird. In dieser Hinsicht hat also der Fasching wohl eine ähnliche Funktion wie Rockfestivals und ähnliches. Wer mal gesehen hat, wie brav behütete Jungs aus gutem Haus plötzlich wild mit leeren Bierdosen um sich werfen und sich auch sonst nicht im Ordnung oder gar Hygiene kümmern, der weiß was ich meine.

Aber es ist eigentlich ganz anders. Zumindest lässt sich das Phänomen Fasching auch anders beschreiben. Interessanterweise lässt sich aber an der gleichen Stelle anschließen: Beim „Sau-Rauslassen“. Denn das genau ist der Punkt. Entgegen der eher armseligen Rolle des „kleinen Mannes“, der mal eben ein wenig Exzess im Fasching feiert um dann wieder ganz normal in sein kleinbürgerliches Leben zurückzukehren zu können, ist die Rolle hier aber eine andere.

Fasching, oder: Es könnte auch anders sein…

Kurz gesagt: Im Fasching ist der Bettler potentiell ein König und Hierarchien werden einfach mal kurzerhand außer Kraft gesetzt. Für diese These sprich, no na nit, die Verkleidung. Generell kann sich im Fasching jedermann und jederfrau so inszenieren wie er oder sie es gerne möchte. Trägt man aber mal im Job die falsche Kleidung wird einem gleich ein Strick daraus gedreht.

Prinzip: Jeder kleidet sich so, wie es seiner Rolle und seiner Funktion entspricht. Trägt der einfache Angestellte in einem größeren Unternehmen Krawatte und feinen Zwirn kann das schon mal als Angriff auf die Autoritäten der Marke: „Wenn ich groß bin möchte ich auch Chef werden“ interpretiert werden.

Man könnte außerdem behaupten, dass das Lachen subversiv sei. Gesellschaftsverhältnisse, Normen und Dogmen lassen sich einfach „weglachen“. Rollenbilder werden kurzerhand mal umgekehrt und selbst neu entworfen. Der Hofrat sitzt zusammen mit dem Bauarbeiter an einem Tisch, weil unter der Verkleidung und unter erheblichem Alkoholeinfluss solche Hierarchie und gesellschaftlich Differenzen überhaupt keinen Sinn mehr machen.

Nun stellt sich dabei eine Frage: Ist die befreiende und subversive Funktion des Faschings und der Faschingszeit auch in die restliche Zeit des Jahres übertragbar? Ich denke ja. Durchaus. Zumal wenn man merkt, dass der vermeintlich gesellschaftlich höher und besser gestellte auch nur ein Mensch ist und kein Halbgott. Das hat natürlich auch Folgen für den Alltag und zeigt auf, dass die fast schon naturgegebenen Unterschiede letztlich nur konstruiert sind und daher angegriffen werden könnten. Fasching kann also ein guter Zeitpunkt und Startpunkt sein, um über seine eigene Rolle in der Gesellschaft nachzudenken und ernsthaft zu überlegen, ob die Verhältnisse so wie sie sind gerecht sind.

Was ich euch damit sagen möchte? Gute Frage. Vielleicht das hier: Ihr solltet, wenn ihr den Fasching bisher genau so wenig gemocht habt wie ich, eure Haltung zu ebendiesem überdenken. Vielleicht ist der Fasching wesentlich sinnvoller als ihr es bisher geglaubt habt.

Dass er in Verbindung mit der Fastnacht steht und natürlich auch irgendwie damit zu tun hat, dass vor der Fastenzeit der Winter ausgetrieben werden soll, ist natürlich auch noch zu erwähnen. Der Fasching jedenfalls ist wesentlich mehr als nur Gaudi und saufen. Er ist ein mit Sinn aufgeladener Volksbrauch, dessen komplexes Zeichen- und Verweissystem sich hervorragend „lesen“, interpretieren und verstehen lässt.

Eine These noch: Fasching ist Volkskultur. Und von daher wohl authentischer im ländlichen Raum zu erleben. Zum Beispiel im Zillertal. Mal so als Tipp nebenbei eingestreut. Und noch etwas tut gut, wenn man den Fasching ganz auskosten will, ohne wenn und aber und seine neu erworbenen Thesen gleich mal vor Ort überprüfen möchte: Weg von seinem Heimatort, in ein Hotel einmieten, den Ausnahmezustand im Zillertal genießen! Bald geht es los…

Fasching im Zillertal: Es geht auch anders!
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Von in Tirol

  • Gerry Baumer

    „In ihr ausbeuterisches Arbeitsverhältnis zurück kehren“ – so einen Schwachsinn hab ich selten gehört!