Wellness in Ischgl: Entspann dich, wenn du kannst!

Bis vor einigen Jahren war das alles für mich ein sprichwörtliches spanisches Dorf. Wellness war für mich ein wenig plantschen im Pool und dann vielleicht noch ein bisschen Sauna. Schnell wurde ich in dieser Sache eines Besseren belehrt und musste einsehen, dass Wellness mittlerweile nicht nur ein guter Geschäftszweig für Hotels ist, sondern ein hochdifferenziertes Feld, bei dem man Ahnung haben muss, um wirkliche Erholung zu finden.

Ein wenig paradox mutet das Ganze aber dennoch an. Zumindest auf den ersten Blick. Wellness scheint zum Wettbewerb verkommen zu sein. Welches Hotel hat den schönsten Wellness-Bereich? Welches Hotel hat den größten Pool, die besten Saunen und die entspannendsten Massagen? Wehe wenn sich der Gast nicht wirklich entspannt, dann ist alles umsonst und die Sache mit Wellness im jeweiligen Haus noch nicht ausgereift. Wer will, dass sich seine Gäste entspannen, der muss sich mittlerweile ganz schön ins Zeug legen. Paradox ist das vor allem deshalb, weil für mich Entspannung eigentlich die Abwesenheit von Wettbewerb bedeutet.

Entspannung tritt nicht dann ein, wenn ich möglichst viele Aktivitäten oder Passivitäten (man erlaube mir diese Wortschöpfung) setze. Sprich: Ich muss ein paar Runden im Pool schwimmen, dann noch in die Sauna, und die allerneuste fernöstliche Massage muss ich danach auch noch ausprobieren. Es ist in dieser Sache eindeutig: Wer sich schneller entspannt, gewinnt. Damit wird der Wettbewerbsgedanke der spätkapitalistischen Gesellschaft auch auf das Feld der Entspannung und der Erholung transferiert.

Wellness in Ischgl: Höher, schneller, weiter?

Der Wettbewerb findet also auf mehreren Ebenen statt, z.B. auf der Ebenen der allgemeinen „Aufrüstung“ der Wellnessbereiche in den Hotels. Vor allem auch bei Luxushotels. Dort wird in den letzten Jahren verzweifelt versucht, nicht den Anschluss zu verlieren. Schließlich ändern sich die Zeiten. Alles wird moderner, größer, schöner. Damit noch mehr Entspannung garantiert ist. Wer sich dann in solchen schönen Wellness-Bereichen nicht entspannt, dem ist eigentlich nicht mehr zu helfen. Der hat vielleicht auch einfach die falsche Einstellung und glaubt, dass weniger mehr sein könnte. Das stimmt natürlich nicht: Denn mehr ist mehr. Und größer ist größer ist besser. Das gilt auch für Ischgl, wo in Sachen Wellness auch nicht gerade gekleckert sondern geklotzt wird.

Folglich hat auch der Gast selbst heute eine Pflicht. Er muss fortan informiert sein. Einfach hinfahren und schauen, was in Sachen Wellness vor Ort in Ischgl oder anderswo passiert war gestern. Heutzutage muss der Gast informiert sein. Ahnung haben. Sich durch Relax-Guide & Co. gelesen haben.

Fein säuberlich und analytisch muss er sich durch die Bewertungen gelesen haben und seine Wahl muss daher hochfachmännisch und in völlig logischem und kausalem Zusammenhang mit den Informationen erfolgen, die er in mühsamer Arbeit und Recherche erworben hat. Entspannung, Wohlbefinden und die eigene Wellness müssen schließlich ernst genommen werden. Wer das halbherzig angeht, der wird keine Entspannung finden, so viel ist schon mal sicher.

Auch der Relax-Guide ist schon mal hart und geht hart ins Gericht mit Hotels und stellt zielgenau und treffsicher fest, war mal gut war und wer in letzter Zeit den Anschluss verpasst hat. So genau hat der Guide das natürlich nicht über das Trofana Royal gesagt. Aber irgendwie klang es zwischen den Zeilen dann doch durch. Die Konsequenz daraus ist einfach gezogen: Der Wellness-Bereich wurde erweitert und erstrahlt nunmehr in neuem Glanz.

In Ischgl ist es ja ohnehin so: Wer hier hintan steht und nicht das Beste vom Besten und da Feinste vom Feinsten bietet, der hat ohnehin schon verloren. Insofern kann ich die Hotels vor Ort natürlich verstehen. Und irgendwie kann die Sache natürlich auch anders betrachtet werden. Schließlich ist es ja doch legitim für Hotels darauf zu setzen, was gerade so am Markt in Sachen Wellness angeboten und diskutiert wird.

Nur auf eines sollte halt nicht vergessen werden: Die eigene Marke zu pflegen und unverwechselbar zu bleiben! Pool und diverse Saunen hat ja eigentlich eh schon jeder, Massagen gibt es in guten Hotels wie Sand am Meer. Außerdem sehe ich auch ein Problem: Mittlerweile weiß man vor lauter Marktlogik und Weltmarkt ja gar nicht mehr, in welchem Wellness-Bereich man sich gerade befindet. Man könnte genauso gut im Fernen Osten oder auch in Tirol sein.

In dieser Hinsicht muss ich dem Trofana Royal dann doch zu Gute halten, dass es dort nicht so ist. Ich weiß wo ich bin: In Tirol. In den Bergen. Und das ist auch gut so. Und kann man es einem Hotel dieser Klasse verübeln, dass es nicht den Anschluss an den Markt verlieren möchte? Ein Hotel ist schließlich kein anti-kapitalistischer Raum, in dem der Marktlogik getrotzt wird. Und ist etwas verkehrt daran, wenn man einen Rahmen setzt, in dem sich Gäste erholen können? Erholung ist ja prinzipiell auch in einem durchstrukturierten Rahmen möglich oder zumindest nicht ausgeschlossen.

Von daher stelle ich mir die Frage aller Fragen: Was ist eigentlich Wellness für EUCH? Wie geht es auch damit wenn ihr die Veränderungen in diesem Bereich anseht? Habt ihr auch manchmal das Gefühl, dass weniger mehr wäre? Oder begrüßt ihr die derzeitigen Entwicklungen? Bin gespannt auf eure Meinung!

Wellness in Ischgl: Entspann dich, wenn du kannst!
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Von in Tirol