„Ich habe gelernt diese Hände zu lieben“ – Ein Interview mit Marianne Hengl

Das Leben von Marianne Hengl ist geprägt von Willenskraft, Lebensfreude und einer positiven Einstellung zum Leben. Im Interview spricht sie über ihre Hände, ihre Behinderung und darüber, dass es manchmal auch wichtig ist Dinge zuzulassen.

Was mich interessiert: Das Thema Berührungen ist ja bei dir sehr wichtig. Viele scheinen Berührungsängste zu haben. Was kann man Kindern und jungen Menschen mit auf den Weg geben? Welche Tipps gibt es?

Ich glaube es ist individuell verschieden, wie man Berührungsängste abbauen kann. Mein Motto ist, dass ich sage: Gebt mir die Hand, schaut meine Füße an. Warum bin ich so auf die Welt gekommen? Meine Hände und Füße waren immer schon so, eine Gelenksversteifung an allen vier Gliedmaßen. Ich bin schon sehr schwer behindert. Ich kann auch nicht selbst essen, ich brauch in der früh Hilfe um aus dem Bett geholt und angekleidet zu werden. Meine  Assistentin Ellen hält die Zahnbürste bereit, oder auch beim Schminken brauche ich Hilfe.

Wichtig ist mir persönlich, dass ich auf sogenannte „Nichtbehinderte Menschen“ zugehe und sage: Begreift mich. Dann verliert man die Berührungsangst. Schön ist natürlich auch, wenn man die Möglichkeit und Zeit hat miteinander zu reden. Ich sage mir immer: Reg dich nicht auf, wenn du angeschaut wirst. Geht auf die Menschen zu, diese werden staunen!

Warum trägst du Ringe an deiner verkrümmten Hand?

Ich habe gelernt diese Hände zu lieben! Man muss damit zufrieden sein, was einem der liebe Gott mitgegeben hat. Es ist natürlich nicht immer so einfach. Es gibt auch Tage, an denen man nicht so gut drauf ist. Aber normalerweise gehe ich immer auf Leute zu und mit meinem Charme habe ich sie recht schnell auf meiner Seite 🙂

Marianne Hengl im Interview: Wenn Leute vor lauter Stress und Druck nicht mehr schlafen können, dann sollten sie eigentlich umdrehen…

Mich würde auch das Thema „Burnout“ interessieren. Früher hätte man gesagt: „Der packt es nicht mehr“. Hast du einmal an Burnout gedacht? Gab es schon mal solche Situationen?

Ja, es gab einmal eine Situation, in der mir alles zu viel wurde. Wo ich noch dieses und jenes machen wollte. Ich habe einen wahnsinnigen Druck bekommen. Das hatte nur mit mir selbst zu tun, weil ich einfach auf der falschen Fährte war. Man kann nicht genug kriegen, will noch das nächste Projekt machen und das noch tun. Ich frage mich oft: Warum will ich das?

Ich im Gespräch mit Marianne Hengl. Eine sehr interessante und engagierte Frau!

Wenn Leute vor lauter Stress und Druck nicht mehr schlafen können, dann sollten sie eigentlich umdrehen. Sie sollten sich aufs Menschsein besinnen, darauf, wofür wir eigentlich da sind. Es ist wichtig, sich Zeit für seine Kinder und seine Lieben zu nehmen. Man muss auch umdenken lernen. Ich will nicht an meinem eigenen Leben scheitern!

Es kann doch nicht sein, dass man mit  vollem Bewusstsein an die Türe rennt. Es gibt Phasen, in denen man sich zu wichtig nimmt. Ich habe letztens einen schönen Satz gehört: „Die Stille hören“. Wie schön es ist die Stille zu hören! Die hört man nicht mehr, wenn man von Termin zu Termin hetzt. Im Heute habe ich Prioritäten, delegiere sehr viel und trotzdem mache ich mir auch oft was vor und belüge mich selbst, weil ich diesbezüglich ebenso vom Weg abkomme. Wenn ich Kraft brauche, dann fahre ich heim ins Pinzgau zu meiner Familie.

Ich glaube aber, dass der Begriff „Burnout“ ein Begriff ist um sagen zu können: Jetzt ist es Zeit zum Umkehren. Jetzt kann ich den Punkt beschreiben. Wenn ich den Begriff nicht hätte, wäre es ja nur ein diffuser Zustand.

Es gibt viele Leute, die unschuldig gefährdet sind. Wenn sie vom Chef Druck bekommen zum Beispiel. Man kann sagen: Ich muss gehen, ich muss umkehren. Das kann natürlich auch existenzgefährdend sein. Ich habe heute zum Glück beruflich einiges selbst in der Hand. Ich habe tolle Mitarbeiter, denen ich viel anvertrauen kann. Ich bin dankbar und glücklich, dass ich solche Leute um mich habe. Sie haben auch das Recht, sich zu profilieren.

Es muss ein Wille da sein!

Genau so ist es! Leute, die einen starken Willen haben, bekommen auf alle Fälle öfters eine Chance. Jeder muss auf seine Art brennen um authentisch zu sein.

Nutzt du eigentlich die sozialen Medien wie z.B. Facebook? 

Facebook und Twitter verwende ich für unsere RollOn-Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe wirkliche Fans die meine Arbeit und das Thema Behinderung interessiert.

Unter dem Motto „Gipfel-Sieg“ startete der Verein RollOn Austria im Oktober 2012 eine noch nie dagewesene ORF III-Gesprächs-Serie:
Wir stellen in menschlich starken Portraits jeweils zwei  Menschen „auf Augenhöhe“ vor, die auf unterschiedlichste Weise schwere und ehrgeizige Lebensabschnitte zu einem persönlichen „Gipfel-Sieg“ gemacht haben. Erfolg definiert sich für jeden Menschen anders – aber das Glücksgefühl, wenn sich das langersehnte Ergebnis dann endlich einstellt, empfinden wir alle gleich: Man könnte jauchzen vor lauter Freude und Glück, denn ein oft langer steiniger Weg hat sich schlussendlich gelohnt und führt nach Bewältigung vieler Hürden zum langersehnten Ziel.

Für einen schwer behinderten Menschen mag ein „Gipfel-Sieg“ bedeuten, wenn man nach 3 Jahren  selbständig und ohne fremde Hilfe aus der Badewanne steigen kann; mit einer verkrümmten Hand nach monatelangem Üben plötzlich ein Wort schreibt – all dies sind „Gipfel-Siege“, die meistens im Stillen gefeiert werden.

Ganz im Gegensatz dazu stehen die „Gipfel-Siege“ prominenter und bekannter Persönlichkeiten voll und ganz im Blickpunkt der Öffentlichkeit, seien es sportliche, kulturelle, mediale oder andere Höchstleistungen. Nur zu leicht gerät in Vergessenheit, dass auch auf dem Weg dieser Menschen viele Tränen, Schweiß und Hürden liegen. Die Kehrseiten der Medaille sind das Fehlen von Freizeit; die entstehende Distanz von Mensch zu Mensch, die oft in Einsamkeit resultiert und nicht zu vergessen das ständige mediale Rampenlicht, das leider auch manchmal als Instrument genutzt wird, um Menschen jegliche persönliche Würde zu nehmen.

Mich würde auch noch das Thema „Willenskraft“ genauer sehr interessieren. Das kommt ja sehr oft bei dir als Thema vor. Wie wichtig ist das für dich?

„Der Wille kann wahrhaft Berge versetzen“, das ist mein Lebensmotto. Mit acht Monaten konnte ich schon reden. Ich saß frech am Boden – weil ich noch keinen Rollstuhl hatte – und freute mich des Lebens. Ohne Rollstuhl bin ich bis zum fünften Lebensjahr auf dem Hosenboden herum gerutscht. Ich habe damals schon zu meiner Mama gesagt: Ich werde mal eine ganz besondere Frau. Ich habe gewusst, dass das Leben spannend ist.

Der Wille heißt, dass man an sich selbst glauben muss, man mit sich selbst im Reinen sein muss. Die Familie gibt mir unglaubliche Stabilität. Die Krönung war natürlich für mich mein Mann, der mich so liebt wie ich bin. Ich habe ein tolles Leben. Ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich bin nicht fanatisch, aber ich glaube daran, dass mir Gott eine ganze besondere Lebensaufgabe mitgegeben hat und noch allerhand zu tun ist.

Im Grunde ist also der Wille entscheidend. Aber auch, dass man daran glaubt, dass sich alles fügen wird, alles irgendwie Sinn macht.

Lustigerweise spüre ich das. Ich weiß, wann es wieder spannend wird. Es gibt Fügungen. Es gibt keine Zufälle. Wenn ich mein Leben anschaue, dann bin ich mir da sicher. Es hat alles zusammen gepasst. Wichtig ist die Einstellung, aber man muss natürlich auch Glück haben und dieses auch erkennen.

Also steuern und doch zulassen.

Zulassen ist wichtig. Ich bin draufgekommen, dass es wichtig ist, manche Sachen laufen zu lassen. Man ist oft hartnäckig und verbissen. Ich bin oft ganz gezielt und gesteuert irgendwo hingegangen und es hat nicht geklappt. Dann habe ich oft auch zugelassen und es hat funktioniert.

Ich glaube der richtige Augenblick ist entscheidend. Aber man darf nicht nur abwarten.

Ich steure natürlich auch sehr viel. Jeden Tag. Aber irgendwann muss man auch zufrieden sein. Ich möchte in den nächsten Wochen zum Beispiel nur Lorbeeren ernten und Beziehungen pflegen.

Danke für das sehr interessante Gespräch!

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Von in Tirol