Schlafstörungen: Eine kleine Geschichte des Schlafes

Ja, wir leiden im Heute verstärkt unter Schlafstörungen und können nicht mehr einschlafen. Weil uns unser Kopf nicht mehr lässt. Sobald unser Körper zur Ruhe kommen will, beginnt unser Kopf imaginäre Purzelbäume zu schlagen und weist uns darauf hin, dass wir noch über das eine oder andere Problemchen nachdenken sollten. Das Schöne daran: In der Nacht, wenn man nicht schlafen kann, werden auch kleine Probleme plötzlich ganz groß. Eines ist evident: Die Nacht und der Schlaf sind zwei hochkomplexe, hochinteressante Felder, die in unserer Zeit trotz der Omnipräsenz des Begriffs Schlafstörungen zu wenig Beachtung finden.

Wissenschaft, Literatur und Kultur sind voll von Nacht, Schlaf und Schlafstörungen. Dazu ist es zum Beispiel erhellend, wenn wir uns den Begriff des „Schattens“ beim Psychoanalytiker C.G. Jung ansehen. Der Schatten beschreibt dabei die unterdrückten Züge der Persönlichkeit. Diese Züge und diese Eigenschaften werden unterdrückt, weil sie gesellschaftlich nicht tragfähig und akzeptabel wären.

Das ist durchaus mit dem Unbewusste bei Freud zu vergleichen. Das „Es“ ist es dann bei ihm, das für das Unkontrollierbare, Triebhafte und Wilde steht. Das Ich ist dabei eine Art von ausgeleichende Instanz, die sowohl das „Über-Ich“ als auch das „Es“ irgendwie bei Laune halten soll. Gar nicht so einfach.

Wir können uns auch hin die Welt der Literatur bewegen. In „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider wird der Schlaf als der Bruder des Todes beschrieben. Kein Wunder: Immerhin verfallen wir im Schlaf mehrere Stunden in den Zustand einer Art von Bewusstlosigkeit, nehmen nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt wahr, was um uns herum passiert. Der Protagonist in diesem Text beschließt aufgrund seiner unerfüllten Liebe so lange wach zu bleiben, bis er stirbt. Merke also: Schlafentzug tut auch nicht gut. Auf Dauer kann uns ein Schlafentzug erheblichen Schaden zufügen.

Schlafstörungen, oder: Wer viel schläft, der ist auch präsent

Auch in der Popkultur thematisierte die Band Faithless bei „Insomnia“ den beschriebenen Zustand der Schlafstörungen bzw. der Schlaflosigkeit. Wer nicht schläft, bei dem verschwimmen Wachzustand und Traum. Tag und Nacht. Alles wird zu einem diffusen Zwischenraum, in dem man zunehmend die Orientierung verliert. Ein Zustand der Indifferenz, bei dem unklar ist, ob man wacht oder träumt.

Kehrt man diese Logik um, so heißt das auch: In der Nacht finden wir Platz für Dinge, die am Tag keinen Platz finden. Die Nacht und der Tag sind „Übungsfelder“, Simulationen davon, was sich am Tag ereignet hat und was sich am nächsten Tag ereignen könnte. Wir „üben“ und schauen, wie wir auf Situationen reagieren. In der Nacht werden wir nicht nur körperlich, sondern auch geistig fit und rüsten uns für unser Leben demnächst im Wachzustand.

Man könnte auch sagen: Wer ganz bewusst schläft, wer gut schläft und wer nicht unter Schlafstörungen leidet, der nutzt die Zeit des Schlafes und der Nacht optimal und ist am Tag präsenter, wacher, auch im metaphorischen Sinne. Wer viel schläft, der ist anwesend, ganz im Hier und Jetzt, der kann adäquat auf die Herausforderungen des Da-Seins reagieren.

Warum aber erzähle ich euch das alles? Deshalb: Ich bin der Meinung, dass wir dem Schlaf zu wenig Bedeutung beimessen. Was natürlich absurd klingt, weil Gott und die Welt ständig immer und überall von Schlafstörungen spricht. Dennoch erkennen wir den Schlaf als Zustand und die Nacht als Zeitraum nicht mehr in ihrer jeweiligen vollen Bedeutung, Reichweite und Relevanz. Wir schlafen nicht nur, um am nächsten Morgen ausgeruht zu sein. Wir schlafen um uns unseren Träumen, Sehnsüchten und Ängsten zu stellen und um dazu zu lernen. Der Schlaf konfrontiert uns mit Situationen, denen wir im „echten“ Leben am liebsten aus dem Weg gegangen wären.

Am liebsten würden wir diese verdrängen und nicht wahrhaben. Träume können uns ängstigen und verstören. Wir müssen aber, und das lehrt und der Schlaf und die Nacht, damit umgehen lernen. Sie als Teil von uns akzeptieren. Die Dichotomie von Wach-Sein und Schlaf ist so einfach nicht zu treffen. Auch unsere Träume, unsere Wünsche und unsere Abgründe, die im Schlaf präsent sind, sind Teil von unserer Person, die sich im Tag und im Alltag auf diese oder jene Weise verhält.

Wir unterschätzen den Schlaf und die Nacht sträflich. Wir betrachten das alles mit einem fast schon pragmatischem Ansatz: Schlafen muss man halt. Ist es vielleicht auch Ausdruck dieser Beiläufigkeit, dass wir die Parameter und den Rahmen unseres Schlafes nicht mehr bedacht und reflektiert setzen?

Kann man diese Achtlosigkeit auch daran ablesen, dass wir auf billigen Matratzen liegen und das Thema Naturmatratze für viele erst gar nicht in den Fokus gerät? Ist das das auch der Grund, warum unsere Möbel im Schlafzimmer nicht Massivholzmöbel sind, sondern meist ganz billige Produkte, die wir in ein paar Jahren schon wieder wegwerfen müssen?

Ich weiß schon. Das ist nicht wenig spekulativ. Aber mir erscheint es zum Teil durchaus plausibel zu sein. Vielleicht würde sich dann auch das Thema Schlafstörungen erledigen oder zumindest ändern? Auch das weiß ich nicht. Aber es könnte sein. Was meint ihr?

Schlafstörungen: Eine kleine Geschichte des Schlafes
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Von in Tirol