Kulinarik im Kaiserwinkl: New York oder doch lieber der Kaiserwinkl?

Eines frage ich mich immer: Warum ist der ländliche Raum in Sachen Kulinarik so differenziert, wenn er doch in kultureller Hinsicht so wenig hergibt? Liegt es daran, dass die Menschen ganz einfach nichts anders zu tun haben als zu essen und das möglichst gut? Schließlich ist der Weg ins nächste Theater oder zum nächsten Konzert weiter als der Weg zum nächsten guten Restaurant. Doch stimmt diese Vermutung auch wirklich? Anhand der kulinarischen Möglichkeiten im Kaiserwinkl lässt sich dieser Frage nachgehen.

Ja, ich gebe es zu. Ich habe mich mit dem ländlichen Raum nicht immer ganz leicht getan. Und nach wie vor bin ich begeisterter Städter, was auch zu manchen Diskussionen mit meiner älteren Tochter führt, die weite Teile des Sommers immer bei ihren Großeltern am Land verbringt. Auf ihre Frage hin, warum wir in einer Stadt leben argumentiere ich meist mit Konzerten, Musik, Universitäten, guten Schulen und vielem mehr. Einige Argumente davon leuchten ihr ein, einige nicht. Vor allem leuchtet ihr wenig ein, warum sie auf einen Garten und auf ganz viel Grünfläche verzichten muss, zumindest in unmittelbarer Nähe.

Als letztens Robert Misik bei einer seiner Video-Kolumnen von der Dummheit des Landlebens erzählte, davon, dass die Stumpfheit und Banalität des Landlebens immer mehr in die Städte einzudringen scheint, etwa weil viele Leute volkstümliche Musik hören oder Trachten tragen, fühlte ich mich dennoch unbehaglich.

Ich hatte das Gefühl, dass er zu grobschlächtig argumentiert und letzten Endes den Kern der Sache nicht trifft. Natürlich: Auch ich lief nicht mit Tracht herum und hörte Andreas Gabalier. Aber ob diese Gegenüberstellung von banalem Landleben und progressivem, aufregenden Stadtleben so einfach funktionierte? Ich glaube nicht. Denn auch der ländliche Raum hat viel zu bieten.

Land oder doch lieber Stadt? New York oder doch der Kaiserwinkl?

Ich stelle eine einfache Behauptung auf: Das, was dem ländlichen Raum von urbaner Seite vorgeworfen wird ist eigentlich dessen Stärke. Und der urbane Raum ist auf mehr als nur einem Auge blind oder zumindest ziemlich unreflektiert. Denn der ländliche Raum hat dem urbanen Raum eines Voraus: Bodenständigkeit und  Traditionsbewusstsein. Der urbane Raum hingegen setzt auf Künstlichkeit, auf „Gemachtheit“.

Was meine ich damit? Ganz einfach: Der ländliche Raum setzt auf Traditionen, auf Kontinuität und auch darauf, dass ich in einen gewissen sozialen und kulturellen Kontext hineingeboren werde oder zumindest Teil dieses einen sozialen Kontextes bin. Ein Leben am Land steht für Verortung und für Verwurzelung.

Ein Leben in der Stadt ist, schaut man sich weltweit die Großstädte an, ein Leben, das ich meist bewusst gewählt habe. Man wird nicht in New York geboren, man zieht dort hin. Eine Stadt ist ein Raum, in dem alles Platz hat. Das ist natürlich schön, hat aber auch Nachteile: Zusammengehalten wird alles nur mehr von Konsum und davon, dass man eben in derselben Stadt lebt.

Es gibt keine gemeinsamen Erzählungen mehr, keine gemeinsamen kulturellen Vorlieben oder keine Traditionen mehr, die ein großer Teil der BewohnerInnen teilt. Eine Stadt ist eine Gemeinschaft, in der die Verbindlichkeit und die Zusammengehörigkeit auf ein Minimum geschrumpft sind. Das kann Vorteile habe, etwa wenn man daran denkt, dass ich einen Lebensentwurf wähle, der im ländlichen Raum nicht funktionieren würde. Letztlich kann man diese Toleranz aber vielleicht auch als Gleichgültigkeit beschreiben.

Ich bin der Meinung, dass sich dieses Phänomen auch, pars pro toto, an der Kulinarik in den jeweiligen Räumen ablesen lässt. Während man in großen Städten praktisch alles findet, alle kulinarische Vorlieben befriedigt werden, verhält es sich im ländlichen Raum tendenziell anders. Es gibt eine bestimmte Tradition, eine kulinarische Ausrichtung, die sich zumindest mit Wurzeln, Herkunft und Region beschäftigt hat.

In den besten Restaurants im Kaiserwinkl beschäftigt man sich mit der Region, mit den kulinarischen Traditionen, versteht es aber auch, diese kreativ auszulegen. In der Stadt, so zumindest meine These, ist der kulinarische Überlieferungsstrang komplexer, nicht eindeutig feststellbar, vielleicht schon gekappt und zerrissen.

Mit der Folge, dass, was natürlich auch Vorteile hat, prinzipiell alles möglich wird. Mit einem Problem: All das wird nicht mehr zu einem großen Ganzen. Versuche, eine Stadt kulinarisch auf dieses oder jenes festzulegen, sind letztlich verzweifelte Versuche. Man könnte auch sagen: Folklore. Die Behauptung einer Tatsache, die längst nicht mehr der Realität entspricht, sondern nur mehr konstruiert wird.

Die Frage ist also: Wo isst man besser? Im Kaiserwinkl oder doch im urbanen Raum? Was meint ihr dazu – seid ihr meiner Meinung oder nicht? Ich bin gespannt auf eure Kommentare!

Kulinarik im Kaiserwinkl: New York oder doch lieber der Kaiserwinkl?
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Von in Tirol