James Blunt in Ischgl: Musik für Feuerzeuge

Ich gebe es zu. Ich war verwirrt. Obwohl ich mich schon mit Countertenören und anderen Stimmen beschäftigt hatte. Aber als damals „You´re beautiful“ aus dem Radiosender der Nation dröhnte war mir lange Zeit eines nicht klar: Männchen? Weibchen? Irgendetwas dazwischen? Eigentlich hatte ich am Anfang eine Person im Kopf, die ähnlich wie Tracy Chapman Songs auf der Gitarre zum Besten gab und dieser auch optisch ähnlich sah. Erst Wochen später, ignorant wie ich bin, erfuhr ich, dass es sich dabei ums James Blunt handelte, der sogar noch ehemaliger Soldat ist. Und jetzt kommt der auch noch nach Ischgl zur Eröffnung der Wintersaison? Was für eine verrückte Welt.

James Blunt hatte ich ja eigentlich aus den Augen verloren. Nach seinem ersten Hit hatte ich seine Karriere nur mehr so am Rande mitbekommen und hatte das Gefühl, natürlich rein subjektiv, dass da auch nichts mehr wirklich nachkam. Offenbar hatte ich mich getäuscht, denn dieser James Blunt hat sich still und heimlich und von mir fast unbemerkt zu einem Superstar gemausert, den man offenbar sogar in Ischgl auftreten lassen kann, ohne dass die Party dabei ins Wasser fällt und ohne dass man sich als Zuschauer zu sehr fremdschämen muss. Ich musste also tatsächlich etwas verpasst haben.

Ich muss es leider zugeben: Party ist nicht meins. Lieber stehe ich bei einem Solo-Piano Konzert mit einigen wenigen Leuten herum und schaue und höre mir an, was für Klangfarben, Motive, Sounds und Akkorde ein guter Pianist heraushaut. Musik ist, wenn sie gut ist, für mich vor allem eine Anleitung zum Zuhören. Zum genauen Hinhören. Sie hat die Funktion einer Anleitung zur Kontemplation. Musik macht mich still und hält mich an zum Innehalten. Sie verleitet mich, genau hinzuhören.

Als mich ein Freund fragte, ob ich nicht mit ihm zu James Blunt nach Ischgl fahren wollte, wurde ich erst einmal stutzig und war grundlegend und überhaupt skeptisch. Ich, inmitten einer großen Menschenmenge, in der Partymetropole der Alpen? Das passt nicht wirklich. Und doch kam ich auch ins Grübel. Ich hatte ja die Haltung, dass Musik keine direkte Funktion hatte. Oder zumindest multifunktional war. Wenn das stimmte, dann konnte verschiedene Musik auch verschiedene Funktionen haben.

Ischgl: Party und more?

Es war denkbar, no na nit, dass es Musik gab, die in einem Partykontext exzellente funktionierte, sich aber beim genauen, stillen Hinhören als eher uninteressant entpuppte. Und auch die soziale Dimension von Musik durfte nicht unterschätzt werden. Während es mir herzlich egal war, ob ich ein gutes Konzert vor einer oder vor 1000 Personen hörte, solange die musikalische Qualität stimmte, war es denkbar, dass es Musik gab, die gerade erst ab einer bestimmten Anzahl von Menschen so richtig ihre Wirkung entfaltete.

Sprich: Menschenmassen, die wie in Chören gewissen Textstellen mitsangen und die genauestens informiert waren, wann es sich lohnte, das Feuerzeug aus der Tasche zu holen und in der Luft umher zu schwenken. Musik ist ein komplexes System, das neben genauem und intensivem Hinhören auch Handlungsanleitungen beinhaltet. Es ist definitiv so, dass es Musik gibt, die genau so konstruiert ist, dass Menschen genau wissen, wann Feuerzeuge angebracht sind und wann es besser ist, lauthals mitzusingen. Musik, die intuitiv für eine große Masse von Menschen funktioniert und ad hoc verständlich ist, weil uns eben die Strukturen und die Funktionsweise als normal eingebläut wurden, nennt man auch Mainstream. Von daher ist James Blunt wohl doch keine so schlechte Wahl.

Seine Musik ist gefällig, eingängig, ohne dass sie je allzu banal wird oder sich gar in den Niederungen des Schlagers bewegt. Mit Grauen darf man daran denken, was passieren würde, wenn Helene Fischer die Saison in Ischgl eröffnen würde. Dann doch noch lieber James Blunt mit seinen Liedern, die von der breiten Masse mitgesungen werden können und bei denen auch klatschen und Feuerzeuge als mögliche Reaktion im Bereich des möglichen liegen.

James Blunt polarisiert auch nicht, irgendwie können sich alle auf ihn einigen. Nette Lieder schreibt er ja. Und ein Frauenschwarm ist er obendrein. Ischgl, du hast in diesem Fall nichts, aber auch wirklich nichts falsch gemacht. Zumindest, wenn man erst mal die Funktionsweise von Party, Masse und Massentauglichkeit in den Mittelpunkt stellt und diese Aspekte in ihrer Kausalität versteht.

„Meine“ Musik wäre wohl Partytöter hoch 3. Das weiß ich auch. Und soziologisch und analytisch kann man sich ohnehin jede Form von Musik anhören. Das passt schon so. Ich werde einfach darauf achten, wie die Musik von James Blunt funktioniert. Vielleicht hilft aber auch das eine oder andere Getränke meinen strikt analytischen und rationalen Zugang zu dieser Art von Musik zu verändern? Vielleicht würde ich dann auch in der Masse stehen, laut „Bonfire Heart“ mitsingen und an der richtigen Stelle das Feuerzeug schwingen?

Wahrscheinlicher war aber, dass ich mir das große Partytreiben und auch das Konzert von James Blunt nur in kleinen Dosierungen geben würde. Und mich stattdessen auf das Ischgt stürzen würde, das auch noch da ist. Das abseits der Party existiert und das ich euch nachdrücklich und ausdrücklich ans Herz legen möchte. Das Ischgl, das sie auch mit leiser, komplexer und schräger Musik verträgt, weil es genau so künstlerisch ist. Das Ischgl der Kulinarik.

Das Ischgl des Feinen, des Besonderen. Das Gault Millau hatte ja in der aktuellen Publikation schon bemerkt und festgehalten, dass es in Ischgl mehr als nur einen Ort gab, an dem Gourmets auf ihre Kosten kamen. Für mich persönlich war das Trofana Royal und Martin Sieberer aber immer noch der Gipfel des Genusses. Ob ich da wirklich noch James Blunt brauchte, wenn ich auch Wellness und Kulnarik im Trofana Royal haben konnte? Ich bin noch unsicher. Aber Ischgl ist genau deshalb interessant, weil es beides gibt: Angebote für die ganz breite Masse und Angebote für Feinschmecker und Freunde des Delikaten, Besonderen. Deshalb kam ich auch Winter um Winter wieder…

James Blunt in Ischgl: Musik für Feuerzeuge
5 (100%) 3 votes

Von in Tirol