„FM Riese“ in Wattens: Ein bunter Spielplatz der musikalischen Möglichkeiten

Ich habe dafür ja immer wieder ein wenig Prügel einstecken müssen. Aber ich bleibe dabei: So lange es kein besseres Modell gibt als das „kuratorische Modell“, halte ich an diesem fest. Basisdemokratie und Entscheidungsgewalt für alle in Sachen ästhetischer Ausrichtung halte ich zwar für eine schöne Utopie, in der Realität führt das aber meist zu eher seichten Jahresprogrammen, in denen jeder nur sein eigenes Süppchen kocht, ohne dass sich ein Gesamtkonzept und eine ästhetische Gesamtrichtung ergeben würde. Auch für das Festivals gilt das in besonderem Maße: Am besten sind immer noch die Veranstaltungen, in denen EIN Kurator zu Tage tritt. Das gilt auch für das FM-Riese Festival, das am 03.10. in diesem Jahr in Wattens auf einen Tag reduziert über die Bühne geht.

Christof Dienz ist ja kein Unbekannter. Der Mann weiß schon was und warum er es tut. Er war Fagotttist an der Wiener Staatsoper und komponierte natürlich auch unter anderem für das mittlerweile legendäre Ensemble „Die Knödel“. Vor einiger Zeit hat er auch seine Liebe zu einem Instrument entdeckt, das sonst zu oft und zu Unrecht in einem volkstümlichen und volksmusikalischen Kontext versauert: Die Zither.

Seither geht es ihm auch und vor allem darum, dieses Instrument ein wenig zu entstauben und in seiner musikalischen Fülle darzustellen. Ich würde sogar sagen: eine Möglichkeitsraum zu eröffnen, der erst einmal gar nicht auf der Hand liegt und ganz und gar nicht evident ist. Wer seine Kompositionen hört der hört auch einen abenteuerlustigen, experimentierfreudigen und hochsensiblen und konzisen Komponisten und Interpreten. Dass er es bis hin zu einer Zusammenarbeit mit Musikern wie Zeena Parkins gebracht hat, die schon die eine oder andere Björk-Platte mit ihrem Harfenspiel bereichert hat, spricht für seine musikalische Vision und für seine internationale Vernetzung.

FM Riese in Wattens: Ein Brückschlag und ein (riesiger) Möglichkeitsraum

Ich behaupte grundlegend, dass man das Festival „FM Riese“ somit an die Person Christof Dienz rückbinden muss. Was wiederum zur Frage führt, was für Beweggründe er haben mag, um ein solches Festival auf die Beine zu stellen. Einer der primären Tendenzen, die sich im Programm seit 2012 ablesen lassen ist der Versuch eines Brückenschlages. Anders als viele andere Festivals, die Anschluss bei den bereits Bekehrten und Eingeweihten finden und finden möchten, eröffnet das „FM Riese“ in Wattens den Möglichkeitsraum überhaupt erst und sucht stets neue Zugänge zu diesen Räume der  ästhetischen Gestaltung.

Man könnte sagen, dass hier das Publikum dort abgeholt wird, wo es eben steht und nicht von Anfang an in freitonale Free-Jazz- oder sonstige Gewitter geworfen wird. Dieses Festival zeigt die Entwicklung auf, macht den Prozess und den Weg sichtbar, der sich von relativ zugänglichen Pop-affinen Klängen bis hin zu avantgardistischeren Tendenzen durchschreiten lässt. Es legt Bedingungen und Grundlagen des Hörens und des Verstehens nahe und somit offen. Es fordert das Publikum heraus, überfordert es aber nicht.

Der Zugang von Dienz ist, so unterstelle ich es ihm zumindest, ein versöhnender. Er will Widersprüche, Brüche und Zäsuren kitten und vielleicht überhaupt vergessen machen. Gibt es denn Widersprüche zwischen tanzbarer elektronischer Musik und herausforderndem, harmonisch und rhythmisch komplexem Modern Jazz überhaupt oder ist das nur eine Konstruktion und eine Zuschreibung, um diese beiden Musikformen auseinander zu dividieren? Oder gibt es stattdessen nicht einfach abweichende musikalische Ansätze, bei denen letztlich nur jeweils immanent mit aus dem Genre und aus dem Musik-hören ganz generell abgeleiteten Qualitätskriterien heranzugehen ist?

Sprich: Nicht das Genre zählt, sondern die Avanciertheit der Ansätze im jeweiligen Zusammenhang. So lässt sich der jeweilige Zugang möglichst deutlich machen, mit jeweils herausragenden Vertretern des jeweiligen Zu- und Umgangs mit dem jeweiligen musikalischen Material. Ich würde sagen: So macht man transparent und sichtbar, wie Musik funktioniert. Dazu braucht es herausragende Vertreter der jeweiligen Ansätze. Hier hat dann aber dafür Mittelmaß keinen Platz, denn Menschen, die nicht wissen was sie (musikalisch) tun, können auch kein Verstehen und kein Verständnis hervorrufen.

Wo keine musikalische Vision und wo kein Können ist, da gibt es auch keine wirklichen musikalischen Ansätze und ästhetischen Paradigmen, die sich verstehen ließen. Werden hingegen bewusst Vertreter ausgesucht und wird auch bewusst auf solche oder ähnliche Fragestellungen hin kuratiert, dann entstehen Brücken und dann entsteht generell ein Verständnis, das nicht auf die Kosten der jeweiligen musikalischen Qualität geht. Tanzbarkeit darf Tanzbarkeit bleiben und Komplexität darf Komplexität bleiben. Es sind alles Ansätze, Konzepte, Idee, die Christof Dienz dem Publikum in Wattens anbietet.

Ein bunter Möglichkeitsraum der divergierenden musikalischen Ansätze in Wattens

Der Abend am 03.10. lässt obige Interpretationen jedenfalls zu. Mit Andres Matthias Pichler, Kompost 3 und Squarepusher stehen drei höchst unterschiedliche Acts am Freitag auf der Bühne, die aber eines gemeinsam haben: Sie haben ihre eigenen musikalischen, ästhetischen und konzeptionellen Ansätze stets verfeinert und zum Teil bis zum Äußersten getrieben.

Für seichtes musikalisches ausprobieren erster musikalischer Gehversuche ist bei „FM Riese“ (zum Glück) wenige Platz. Das sollen anderen anbieten. Beim Festival „FM Riese“ sind bereits ausformulierte und doch für Wandlungen und Veränderungen offene Konzept zu hören.

Dass Christof Dienz vermutlich durch seine Zusammenarbeit mit Swarovski nicht unter Geldnot leidet und die MusikerInnen seiner Wahl einladen darf: Geschenkt und für mich kein Kritikpunkt. Warum ständig im wenig subventionierten Indie- und Alternative-Bereich herumkrebsen, wenn anderswo das eigene Konzept, das eigene Wissen und Können geschätzt wird? Das Publikum bei FM Riese in Wattens profitiert jedenfalls von der klaren kuratorischen Linie und vom roten Faden den, Christof Dienz ins Festival mit hinein bringt.

An der musikalischen Qualität der drei Acts an diesem Abend lässt sich wahrlich nicht zweifeln. Für mich ragt das Brüderpaar mit Innsbrucker Wurzeln, das derzeit in Berlin lebt und auf den Bandnahmen Andreas Matthias Pichler hört, aber noch einmal heraus. Was hier mit minimalen Mitteln an musikalischer Atmosphäre geschaffen und mit welcher immensen Musikalität hier ans musikalische Werk gegangen wird beeindruckt schlicht und einfach ab den ersten Ton. Die beiden Brüder sind eine eingespielte Urgewalt, die mit höchster musikalischer Sensibilität und höchstem Ideenreichtum fragile Klang- und Songgemälde erschafft.

Von meiner Seite ein klares Statement: Vergesst vieles, was euch in Tirol und Innsbruck als musikalische Großtat verkauft wird und dabei nur ein laues musikalisches Lüftchen ist und gönnt euch die drei Acts am Freitag bei FM Riese. Zumindest bei „Kompost 3“ und „Andreas Matthias Pichler“ kann ich euch aus eigener Erfahrung zusagen, dass das ganz famose Konzerte sein werden.

„FM Riese“ in Wattens: Ein bunter Spielplatz der musikalischen Möglichkeiten
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Von in Tirol