Wandern im Kaiserwinkl, oder: Was ist das eigentlich, dieses wandern?

Ich habe das Gefühl, dass beim Thema Wandern und Wanderungen ein riesiges Begriffschaos lauert. Es wird von Wandern gesprochen, von Genusswandern und auch das Pilgern hat noch das eine oder andere Wörtchen mitzureden. Teilweise ist gar von Pilgerwanderung die Rede. Kurzum: Ich bin verwirrt. Und das ist ein guter Grund um sich in dieser Hinsicht auf Spurensuche zu machen.

Ein Freund erzählt mir Jahr für Jahr begeistert von den Wanderungen bei den Klangspuren, in denen auch Musik eine Rolle spielt. Dort wird nicht nur gewandert, sondern an ausgewählten Stationen der Wanderung kann der geneigte und mehr oder weniger interessierte Wanderer das eine oder andere Stück „Neue Musik“ genießen. Wobei das mit genießen für manche Wanderer in dieser Hinsicht so eine Sache ist.

Dieser Freund, nennen wir ihn mal B., hat angemerkt, dass ein guter Teil der Wanderer wegen der Musik dabei seien, mehr aber noch trotz der Musik. Er sei einer der wenigen Mitwanderer, die sich für beides interessierten. Kurzum: Irgendwo muss bei dieser Sache ein Konflikt lauern. Irgendwie verträgt sich also avancierte Musik mit Hang zum Experiment und Freitonalität nicht mit dem Wandern. Dass bei diesen Wanderungen auch noch der Jakobswegforscher Peter Lindenthal dabei ist und die Wanderung als Pilgerwanderung bezeichnet wird, macht die Sache nicht einfacher. Ganz im Gegenteil. Hier ist man letztlich wirklich in einer sehr komplexen und verzwickten Situation angelangt.

Wandern im Kaiserwinkl, oder: Was tun wir eigentlich, wenn wir wandern?

Doch kommen wir ein wenig weg von den Klangspuren und begeben uns in den Kaiserwinkl. Oder fragen erst einmal ganz allgemein danach, was wir eigentlich tun, wenn wir wandern. Ich würde wandern erst einmal ganz basal als eine Bewegung bezeichnen, mit der wir uns von A nach B bewegen. No na net.

Wir haben ein Ziel und unterwegs nehmen wir möglichst viel gute und frische Bergluft mit, genießen den Ausblick und sind dabei möglichst still und schweigen uns an. Weil die Augenblicke unterwegs doch eigentlich viel zu schön sind um sie mit irgendeinem Gequatsche zu ruinieren. Mir scheint, dass mein Kollege F. diesen Zugang favorisieren würde. Und dennoch sind wir dann froh, wenn wir die Hütte oder das Ziel erreicht haben. Ganz ohne Ziel geht´s beim reinen Wandern dann doch nicht, oder?

Ein anderer Kollege, nennen wir ihn W., hat mir immer wieder von seiner Begeisterung fürs Pilgern und für den Jakobsweg erzählt. Und ich hatte das Gefühl, dass er meinte, dass das Pilgern immer auch eine Reise nach innen sei. Weniger eine Reise an ein Ziel, obwohl man ja auch nicht ewig und drei Tage pilgern kann. Dennoch: Es ging fast ausschließlich ums Unterwegs sein, darum, im gehen eigentlich zu sich zu finden und seine Vergangenheit zu reflektieren und damit zu einer neuen Interpretation ebendieser zu kommen. Das hatte natürlich Auswirkungen auf die Zukunft, keine Frage. Beim Pilgern kommt es auch auf die Wirkung an. Und die stellt sich dann ein, wenn man loslässt und sich auf den Weg einlässt. Wenn sich beim Pilgern nichts bewegt und die Introspektion ausbleibt, wäre man fast schon enttäuscht.

Endlos kompliziert wird die Sache, wenn diese beiden Ebenen vermengt werden. Und wir eben zu der besagten Pilgerwanderung gelangen. Dann ist nicht mehr klar, was im Mittelpunkt steht: Einfach nur das gehen, das wandern, das dem einzigen Ziel folgt einfach nur Schönheit und auch ein bisschen Kontemplation zu vermitteln? Oder doch die Suche nach eigenen Ich und nach dessen Verfasstheit? Eine Pilgerwanderung will irgendwie beides. Und ist damit ein ganz neuer Zugang zum Thema, der sich doch eigentlich auch propagieren ließe, oder?

Ich plädiere daher für ein entspanntes Pilgern, bei dem man sich eigentlich nichts erwartet. Und für ein Wandern, das zugleich offen ist für spirituelle oder zumindest reflexive Momente. Ich bin überzeugt, dass sich der Kaiserwinkl und das Wandern ebendort für eine solche neue Art des Wanderns mehr als nur gut eignet. Stellt euch doch einfach mal vor: Einfach nur ihr, der Herbst, der Kaiserwinkl und der Adlerweg. Schöner wird die Natur nicht. Es wäre auch denkbar, dass ihr auf diesem Wanderweg, der durch ganz Tirol führt, in den Kaiserwinkl pilgert.

Pilgern wir also los, um uns selbst zu finden und um etwas zu erleben, das mit unserem Inneren zu tun hat. Und wenn sich dieser Moment nicht einstellt, dann war´s zumindest eine schöne Wanderung. Wandern wir los in den Kaiserwinkl und stellen uns darauf ein, dass es nur eine schöne, kontemplative Wanderung wird, die aber durchaus auch den einen oder anderen spirituellen Moment beinhalten kann. Nach etlichen Kilometern sind auch dezente Erleuchtungserscheinungen nicht ausgeschlossen und Gott kommt man ohnehin schon mal allein aufgrund der Höhe des Adlerwegs näher.

Ich bin mir sicher: So findet ihr auf einem Weg zum Kaiserwinkl euer Glück! Denn das Glück der Welt liegt eigentlich in der Entspanntheit und darin, eigentlich  gar nichts zu forcieren und unbedingt zu wollen – und zugleich offen für alles zu sein, das sich ereignet. Ich bin sicher der Kaiserwinkl ist ein perfekter Ort, um diese neue Verbindung von Wandern und Pilgern gleich mal und demnächst mal auszuprobieren. Schließlich wartet der Herbst schon mit (hoffentlich) herrlichem Wetter. Worauf wartet ihr noch?

Wandern im Kaiserwinkl, oder: Was ist das eigentlich, dieses wandern?
5 (100%) 3 votes

Von in Tirol

  • Jochen Karl

    Ich war letzte Woche 24 h teils auf dem Adlerweg im Kaiserwinkl unterwegs: mit dem Bus von Kössen nach Griesenau, Aufstieg 16:15 h aufs Stripsenjochhaus, am nächsten Tag auf dem Adlerweg Etappe 91 über Feldalmsattel, Hochalm, Schwarzenbachalm, Lippenalm hinunter nach Walchsee, mit dem Bus zurück nach Kössen, Ankunft 16:15 Uhr. Mehr: http://www.kaiserwinkl.com/sommer/wandern/adlerweg.html