Almabtriebe im Zillertal, oder: Es muss was geben!

Sie kommen so sicher wie das Amen im Gebet und sind oft untrennbar mit einer Region und deren Traditionen verbunden: Die Almabtriebe. Im Zillertal wird man ja fast schon erschlagen von der Vielzahl an Almabtrieben und sieht vor lauter Kühen das Tal oft nicht mehr. Ob ich Almabtriebe mag weiß ich dabei eigentlich gar nicht so recht. Das hat mehrere Gründe

Ja, die Almabtriebe haben Tradition. Und sind für die Region irgendwie natürlich auch wichtig. Von wegen Identität, Heimat und Brauchtum und so weiter. Ich muss allerdings gestehen, dass ich dieser Sache doch einigermaßen ambivalent gegenüber stehe. Ganz einfach schon mal deshalb, weil alles den Anschein erweckt, als seien das irgendwelche folkloristischen Feste, die einfach nur vorgaukeln, dass es eben so ist wie es ist. Sprich: Alles wird zu einer Show für die Touristen, die sich dann daran erfreuen können, dass alles so schön ursprünglich, authentisch und wie damals geblieben ist. Die Piefke-Saga lässt grüßen.

Die Gefahr ist jedenfalls omnipräsent, auch im Zillertal. Die Einheimischen werfen sich in ihre Trachten, kochen traditionelle Köstlichkeiten und dazu wird dann auch noch Musik serviert, die ein Bild vom Zillertal zeichnet, das es vielleicht so in dieser Form gar nicht mehr gibt. Die Gefahr besteht, dass die Region nicht das ist, was sie im Moment ist und Wandlungen einfach ignoriert und die Zeichen der Zeit ganz einfach ausblendet. Und dafür eben vor allem bei Festen das wird, was Touristen gerne hätten, das die Region ist.

Was ist das eigentlich, das Zillertal?

Es ist eine einfache Aussage: Es gibt ein Selbstbild und ein Fremdbild, das nicht immer überein stimmt. In Tirol und somit auch im Zillertal ist die Gefahr im Raum, dass das Fremdbild zum aufgezwungenen Selbstbild wird. Sprich: die touristische Linie gibt vor, wie das Zillertal zu wirken und zu sein hat. Schließlich erwarten das die Gäste im Zillertal ja vom Zillertal, oder?

Wo kämen wir hin, wenn wir mit all diesem modernen Zeug um uns werfen würden? Veranstaltungen wie der „Stummer Schrei“ im Zillertal sind zwar schön und gut. Aber schließlich und endlich wollen uns die Gäste doch in Tracht sehen, jodelnd, gastfreundlich, gut gelaunt und assoziieren uns eben mit Almabtrieben und sonstigen Veranstaltungen, die eben zur Region gehören. So ist das halt eben, oder?

Damit ist jedoch nichts gegen die Almabtriebe gesagt. Mit zunehmendem Alter bin ich da ein wenig milder geworden. Und es muss auch gesagt werden, dass ich die Almabtriebe im Zillertal tatsächlich als mit dem eigentlichen Grund verknüpft betrachte.

Sprich: Hier werden die Kühe nicht sinnlos mehrere Male die Woche durch das Dorf getrieben, sondern sie kommen tatsächlich von der Alm und das Fest des Almabtriebes ist tatsächlich ein Fest, das den Anlass darin hat, dass im Sommer auf der Alm nichts passiert ist. Und natürlich sind die prächtig geschmückten Kühe schön anzusehen. Und natürlich ist das ein Sammelsurium an „Zeichen“, die derjenige lesen kann, der sich mit der Kulturgeschichte der Almabtriebe beschäftigt hat.

Kultur im Zillertal: Reicht das so?

Meine Kritik und mein Denkanstoß zielt auf eine andere Sache ab: Wird es auf Dauer für das Zillertal wirklich reichen, auf Tradition, Ursprünglichkeit und auf solche traditionellen Veranstaltungen zu setzen, das ganze garniert mit Marc Pircher und Co, die ja eine heile Welt verkaufen und evozieren, die so gar nicht mehr existiert?

Oder hat das Zillertal sich nicht in Wahrheit ganz anderen Herausforderungen zu stellen? Und wie meistert es den Zeitgeist, ohne die eigene Identität zu verlieren? Oder anders gefragt: Wie könnte das Zillertal eine neue, modernere Identität entwickeln, die dennoch nicht vollständig mit der Vergangenheit und der Tradition bricht?

Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich das Zillertal und einige Hotels dort mag. Sehr sogar. Und ich sehe es irgendwie nicht ein, warum ich das Zillertal den Marc Pirchers dieser Welt überlassen sollte und warum eine Schein-Authentizität die wahre Schönheit und die wahre Vielfalt des Zillertals manchmal so verstellen muss.

Und ich bin auch nicht  bereit, die Omnipräsenz der Almabtriebe so in dieser Form zu akzeptieren. Ja, es darf sie geben. Aber nein, sie sollten nicht andere Veranstaltungen in den Schatten stellen, die für mich mehr mit Kultur zu tun haben. Es geht um die Viefalt, die das Zillertal ja an sich hat und noch viel mehr haben könnte. Ich würde es mir wünschen. Es muss was geben. Und es muss noch viel mehr von dem geben, das im Zillertal im Moment (noch) marginalisiert wird. Die Zeit ist reif!

Almabtriebe im Zillertal, oder: Es muss was geben!
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Von in Tirol