Ein Haiku für Ischgl, oder: Die Schönheit der Jahreszeiten

Ich liebe das Haiku. Aus mehreren Gründen. Diese alte japanische Dichtkunst benennt Dinge so, wie sie eben sind. Allegorische, metaphorische oder was weiß ich welche Ebenen sucht man im Haiku vergeblich. Und genau so wird die volle Schönheit unverstellt eingefangen. Deshalb ist das Haiku auch für Ischgl so besonders geeignet, das zu jeder Jahreszeit seinen ganz eigenen Reiz entfaltet.

Wir „Westler“ neigen ja dazu, die Schönheit der Natur, einer Landschaft oder einer Situation mit vielen Worten zu beschreiben. Dazu greifen wir gerne zu Vergleichen, Metaphern oder auch, im allerschlimmsten Fall, zu schwülstigen Formulierungen. In Japan hat sich, zum Glück, eine Dichttradition entwickelt, die nicht nur viel tiefer in der Bevölkerung verwurzelt ist, sondern auch viel weniger Worte braucht: Das Haiku.

Während im Westen viele Menschen Dichter für nutzlose und irgendwie auch arbeitslose Idioten halten scheint in Japan irgendwie jedermann und jederfrau Dichter zu sein. Etwas über 50 Monatszeitschriften stehen in Japan zur Verfügung um seinen eigenen Haikus zu veröffentlichen. Jetzt kenn ich die Zahlen in Österreich oder gar in Europa nicht, aber eine Zahl von jährlich 1 Million veröffentlichter Haikus in Japan ist schon nicht von schlechten Eltern.

Geht man weg von dieser eigentlich eher wenig gewinnbringenden faktischen Ebene dann wird allerdings eines deutlich: Haikus schreiben kann, vermutlich, fast jeder. Obwohl natürlich der Teufel im Detail liegt. Zu einem komplexen Gedicht mit doppelten Böden und mehreren Ebenen in „westlicher“ Hinsicht braucht es schon ein wenig mehr und auch ein Literaturstudium ist kein Fehler, damit man die ganzen Referenzen, Anspielungen und Subtexte versteht und dann auch in der Textproduktion einbauen kann.

Was für eine Erholung ist dabei ein Haiku, das eigentlich wenig macht. Sehr wenig. Und das man auch ad hoc versteht, ganz ohne Studium oder einer lebenslangen Beschäftigung mit Lyrik und Dichtung.

Ischgl und das Haiku: Eine perfekte Kombination!

Ein Vorschlag: Schlagt doch einfach mal einen Haiku-Band auf. Auf Reclam ist da zum Beispiel ein schöner Band vorhanden, der auch eines klar macht: Im Haiku geht es eigentlich um nicht viel. Vor allem aber um die Jahreszeiten. So macht es auch Sinn, dass viele Haiku-Sammlungen nach den Jahreszeiten geordnet sind. Frühling, Sommer, Herbst, Winter und Neujahr sind Hauptmotive in den Haikus. Und weil gerade der Herbst vor der Tür steht möchte ich hier ein besonders schönes Haiku zitieren:

„Grad heute morgen/
Fiel leise und ganz heimlich/
Das erste Blatt ab//

Ich weiß nicht wie es euch geht. Aber in meinen Kopf erzeugt das sofort Bilder. Ganz ohne bildhafte Sprache. Hier wird einfach nur beschrieben, was passiert ist. Die Zuschreibung von Sinn und Bedeutung erfolgt vom Leser und von der Leserin. Wer hier eine metaphorische Ebene herauslesen will, bitte sehr.

Wer auf den Zustand des Autors schließen möchte, auch in Ordnung. In erster Linie ist das aber eine Beschreibung des nahenden Herbstes. Ganz einfach so, wie er sich dem Betrachter zeigt. Der Autor des Haikus ist dabei auch nicht sonderlich wichtig. Er schreibt sich nicht oder zumindest kaum in den Text ein. Er ist eigentlich unsichtbar und die Natur drückt sich durch das Haiku selbst aus. Und das Haiku hat auch den Vorteil, dass es Schönheit in jeder Jahreszeit findet. Das Haiku lässt der Schönheit der Natur Platz und erdrückt es nicht mit mehr oder weniger gelungenen Formulierungen.

Genau damit lässt sich ein Schwenk nach Ischgl machen. Von vielen Seiten hört man immer, dass Ischgl zu jeder Jahreszeit schön sei. Bisher konnte ich das vor allem beim „Kulinarischen Jakobsweg“ im Sommer überprüfen. Ich bin mir aber sicher, dass sich das Haiku perfekt dazu eignet, um die landschaftliche Schönheit in und rund um Ischgl einzufangen. Und auch über eine Kontante in Ischgl, das „Trofana Royal“ ließe sich schreiben.

Was lernt man also vom Haiku? Kurz zu schreiben. Auf den Punkt zu kommen. Etwas, das mir nicht immer gelingt. Aber ich möchte mich hier einfach, anstatt euch zu sagen, wie schön es in Ischgl zu jeder Jahreszeit ist und wie gut die Küche von Martin Sieberer ist einfach ein Haiku mit auf dem Weg geben:

„Sommer wie Winter/
Ischgl mit Schönheit nicht geizt/
Die Küche nie kalt//

Vielleicht nicht das beste Haiku der Welt. Aber zumindest selbstgemacht. Vielleicht wollt ihr es mir nachtun und euch auch mal in dieser eigentlich watscheneinfachen aber doch komplizierten Form der Dichtung versuchen. Einzige Regel: 3 Zeilen, 5 Silben, 7 Silben, 5 Silben. Oder ihr wollt einfach optional nach Ischgl fahren und die Schönheit genießen, ganz ohne dichten.

Ein Haiku für Ischgl, oder: Die Schönheit der Jahreszeiten
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Von in Tirol