Almira, Alte Musik und Co.: Vorwärts in die Vergangenheit

Warum ich Alte Musik liebe? Eigentlich habe ich keine Ahnung. Lediglich Vermutungen. Es passierte vor einigen Jahren, als ich knapp meine 30er Grenze überschritten hatte und ein mehr oder weniger gefestigtes Leben zu führen begann. Mit Familie, Eigenheim und allem, was dazu gehört. Seitdem rührt mich vieles aus der „Alten Musik“ zu Tränen, vor allem der Übergang von elegischen hin zu tänzelnden, überbordend fröhlichen Passagen.

Es ist ja eigentlich ein alter Hut. Aber festgehalten werden muss es dennoch immer mal wieder. Die Musik aus dem Umfeld der „Alten Musik“ und der sogenannten Barockmusik ist in geradezu mathematischer Weise durchstrukturiert, durchdacht und konstruiert. Balance und Ausgewogenheit ist alles – oder zumindest wichtig. Muster und Motive in dieser Musik sind eigentlich altbekannt, die besten Musiker nehmen sich im Grunde genommen auch nur ein paar Variationen und Differenzierungen heraus und fügen sich somit in gewisser Weise einem System und einer Logik, die größer ist als ihr eigenes Schaffen und ihre eigene Genialität.

Der Spielraum des musikalischen Ausdruck des schöpferischen Subjekts war damals definitiv kleiner, als das heute der Fall ist. Das musikalische Subjektiv war noch nicht zum Schöpfergenie aufgestiegen, sondern war eher ein  Kunsthandwerker, der die Regeln lernte, musikalische Virtuosität im einüben von verschiedenen Motiven, Verzierungen und Elementen erlangte. Einfach gesagt: Lerne die Regeln, um sie dann eben nicht zu brechen, sondern dich innerhalb dieses Regelwerkes geschickt und virtuos zu bewegen.Mit Logik, Rationalität und Besonnenheit.

Alte Musik, „Almira“ im Landestheater und ein „Lunchkonzert“ im Hofgarten: Mut zur  Gegenwart

Das alles hat aus meiner Sicht sehr viel mit der Oper „Almira“ von Georg Friedrich Händel und dem Lunchkonzert von „klingzeug“ im Hofgarten zu tun. Eigentlich alles. Eine Anmerkung im Programmheft von „Almira“ hat mich dabei fasziniert, in der es darum geht, dass damals in der Zeit von Bach & Co. auch improvisiert wurde, sei es auf der instrumentalen oder sei es auf der gesanglichen Ebene. Vor allem die typischen Verzierungen beim Gesang in der Barock-Oper seien von Auftritt zu Auftritt variiert und zum Teil auch improvisiert worden. Heute hingegen hätten die Sänger und Musiker dieses Talent in diesem Bereich der Musik nicht mehr. Ganz einfach weil es nicht wirklich Teil der Ausbildung ist.

Wie geht das aber nun mit der Behauptung zusammen, der Spielraum der Musiker sei damals kleiner gewesen als im Heute? Aus meiner Sicht vor allem deshalb, weil das System Alte Musik ja intakt bleibt und lediglich der Umgang mit diesem System anders gedacht werden kann. Sprich: Im Umgang mit den Elementen, Motiven, Verzierungen und vielem mehr bleibt der Freiraum darin, diesen Elementen Variationen und Möglichkeiten abzuringen.

Es geht darum, dies zu tun und zugleich die eigenen Grenzen und den musikalischen Rahmen zu kennen. Die Virtuosität zeigt sich in den Variationen und in den kleinen Freiheiten und improvisatorischen Momenten. Alte Musik lässt sich vergegenwärtigen, sie lässt sich aber nur spielen, wenn man sich in ihrem System, in ihrer Komplexität und in ihrer Determiniertheit auskennt und damit umgeht.

Und genau da liegt der Grund, warum mich diese Art von Musik so berührt, wie sie es auch beim Besuch von „Almira“ im Rahmen der „Festwochen der Alten Musik“ der Fall war. Diese Art von Musik propagiert nicht den Ausbruch, die persönliche oder gesellschaftliche Revolution, sondern deren Variation und dessen Möglichkeiten in der Komplexität eines Systems. Mit dieser Musik lassen sich keine einfachen Antworten finden, vielleicht aber die Verstrickung des Subjekts in ein System beschrieben, das größer ist als er selbst. Dass diese Verstrickung und Bedingtheit dabei aber nicht als Beschränkung oder gar als Gefangenschaft definiert wird, lässt sich mit der „Alten Musik“ lernen. Die Verstrickung in ein System, in eine Kultur ist „normal“. Sich daraus befreien zu wollen eigentlich utopisch und letztlich unmöglich.

Wer seine Haltung an der „Alten Musik“ schult, der begreift, dass es um den virtuosen Umgang mit dem Vorhandenen geht, nicht um einen völligen Neuanfang. Der begreift, dass auch dem sogenannten „Alten“ noch Neuheit, Variation und Leben abgerungen werden kann. Die beste „Alte Musik“ macht genau das: Sie vergegenwärtig das Vergangene und beleuchtet das Gegenwärtige mit dem Vergangenen. Aus meiner Sicht gibt es viel von der „Alten Musik“ zu lernen. Die „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ waren in diesem Jahr eine gute Gelegenheit, um einiges über Alte Musik und über mich und mein Leben zu lernen.

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Von in Tirol