Serfaus erkunden, oder: Darf´s ein bisserl Geschichte auch sein?

Ja, ich gebe es eh schon zu. Obwohl ich es eigentlich nicht sollte. Aber: Für mich war Geschichte immer schon ein wenig langweilig und mit der Archäologie kann ich nicht allzu viel anfangen. Ich bin ein Gegenwarts-Mensch mit Blick für die Zukunft. Mich interessiert, was im Moment ist und wie sich ein Ort oder ein Kulturraum in Zukunft entwickeln wird. Ein Gespräch mit einem Bekannten machte mir aber klar, dass es so einfach nicht ist. Und man letztlich ohne Wissen über die Vergangenheit „blind“ ist und alles ganz falsch interpretiert. Das haben die in Serfaus offenbar schon vor mir gewusst.

Ja, natürlich weiß ich ein bisschen was über Geschichte. Das bekommt man von allerlei Leuten, Bekannten und Freunden, die mehr oder weniger gebildet sind, ja zwangsläufig mit. Ohne Gesichte und Geschichtlichkeit geht offenbar nichts. Wer auftrumpfen will der streut schnell mal ein bisschen historisches Wissen ein und wird gleich um ein paar Ecken gebildeter und schlauer wahrgenommen.

Meist basiert dieses Wissen auf einem Faktenwissen. Wer hat wann wo mit wem Krieg geführt, wer wurde wann wo von wem ermordet, welche Stadt wurde wann und wo gegründet und so weiter und so fort. Ich kann mir bei solchen Ausführungen meist ein heimliches Gähnen nicht verkneifen. Und ich kann auch begründen woran es liegt. Weniger an der Geschichte selbst, sondern an der Art und Weise wie oft Geschichte betrieben wird: Abstrakt, faktisch und sachlich. Für mich funktioniert das nicht.

Mein Vorschlag: Man könnte ja mal so eben und beiläufig eine Differenzierung von Geschichte und Geschichtlichkeit einführen. Geschichte wäre dann immer noch ein auf Fakten und Ereignisse basierendes Gebiet, während das Gebiet der Geschichtlichkeit den Prozess und die Entwicklung eines Ortes in den Blick nimmt. Diese Geschichtlichkeit würde sich dann nicht ausschließlich auf Fakten, Zahlen und Daten konzentrieren, sondern hätte die Veränderung eines Ortes wie eben z.B. Serfaus im Blick.

Serfaus: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Die These dabei ist einfach: Die Vergangenheit definiert die Gegenwart und weist auch schon in die Zukunft. Dieser Zusammenhang wäre aber nicht strikt kausal, sondern wäre eher auf der Ebene der Entscheidungsträger, der Meinungsbildner und natürlich auch der gesamten Bevölkerung anzusiedeln. Soll heißen: Nur indem ich über die Entwicklung und die Geschichtlichkeit von einem Ort wie z.B. Serfaus Bescheid weiß, kann auch im Heute die Situation richtig interpretieren und adäquate Entscheidungen treffen und damit die Zukunft beeinflussen.

Von der Bewusstmachung der Geschichtlichkeit eines Ortes wie Serfaus kann man vor allem eines lernen: Alles im Heute ist nicht notwendigerweise so wie es ist. Es könnte auch ganz anders sein. Geschichtlich gesehen ist das Heute eine Ansammlung an Entscheidungen, die mehr oder weniger richtig oder falsch waren. Die Gegenwart ist die mehr oder weniger logische Konsequenz von Ereignissen, die mehr oder weniger zufällig oder erzwungen stattgefunden haben. Geschichtlichkeit ist für mich ein Begriff der Verflüssigung von Geschichte, der Lebendig-Machung.

Zahlen und Fakten spielen eine Rolle, Gründungsmythen und die Suche in der Vergangenheit um die Gegenwart zu legitimieren nicht mehr. Es handelt sich hierbei nicht um einen Blick zurück, sondern um einen Blick, der umherschweift: Die Vergangenheit wird von der Gegenwart erleuchtet und die Gegenwart von der Vergangenheit. Das Verhältnis dieser zwei Zeiträume ist reziprok und muss immer wieder aufs Neue verhandelt und ausgehandelt werden. So bleibt, aus meiner Sicht, die Geschichte lebendig und eben nicht so staubtrocken, wie es viele auch noch von ihrer Schulzeit her kennen.

Ich behaupte einfach Mal, dass Serfaus und deren Gemeindearchiv Alfred Tschuggmall einen ähnlichen Zugang zur Geschichte und zur Geschichtlichkeit haben wie ich. Definitiv wird hier die Geschichte aber als etwas Lebendiges verstanden, das es zu vermitteln gilt. Die Dorfbesichtigungen in Serfaus, die jeden Mittwoch bis zum 15.10. um 15:00 stattfinden, sind ein Zeichen dafür. In dieser Hinsicht möchte ich ans Herz legen, Serfaus nicht „nur“ wandernd oder sonst wie zu erkunden, sondern eben auch geschichtlich und historisch. Und euch dann, unterwegs mit Herrn Tschugnall, sowohl Gedanken über Serfaus als auch über Geschichte und Geschichtlichkeit an sich zu machen. Ich denke es lohnt sich. Schließlich geht es um viel: Um nicht weniger als um unsere Zukunft und um die Zukunft eines Orten wie Serfaus.

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Von in Tirol