Atemlos durch Innsbruck, oder: Eine Woche Kultur (fast) Non-Stop

Begonnen hat alles mit der Eröffnung des „Fernweh-Festivals“ mit dem Taksim Trio im Treibhaus Innsbruck. Vorher stattete ich noch dem New Orleans Festival einen Kurzbesuch ab. Eine Fortsetzung fand sich am Samstag beim „Orgelfest“ im Kurhaus Hall. Der Sonntag stand dann ganz im Zeichen der Promenadenkonzerte. Am vierten Tage ruhte ich dann, um mich dann Dienstags zu den „Ambraser Schlosskonzerten“ zu begeben, während am Tag darauf schon Harri Stojka wiederum im Treibhaus auf meinen Besuch wartete. Heute, also Donnerstags, würde Adam Holzman im „the early bird“ seine Hammond-Orgel auspacken. Klingt nach viel Kultur und vielen Konzerten. War es auch. Aber ich habe überlebt. Aus bestimmten Gründen.

Manchmal frage ich mich schon. Und zwar ganz direkt in einem inneren Dialog mit mir selbst: „Warum tust du dir das eigentlich an?“ Wäre es nicht stattdessen Zeit für einen Rückzug in Sachen Kultur? Eigentlich ja. Zumal vieles was in Innsbruck an Kultur passiert eben nicht der Rede wert und eigentlich eine reine Zeitvergeudung ist.

Aber es gibt eben auch glückliche Zufälle, dass es wirklich Wochen gibt, an denen an so gut wie jedem Tag irgendwo ein Konzert stattfindet, das sich lohnt. Vor allem im Juli häufen sich für mich solche Momente meistens, bevor Innsbruck dann im August in eine Art von „Sommerstarre“ verfällt. Auch deshalb nehme ich im Juli kulturell gesehen (fast) alles mit, was geht und lohnend ist. Denn das Sommerloch kommt bestimmt. Und schließlich ist der Juli auch die Zeit, wo meine Familie auf Sommerfrische in Osttirol ist, während ich in Innsbruck bleibe.

Es gibt aber einen entscheidenden Aspekt, wenn ihr es mir nachmachen wollt und auch ähnlich viel Kultur und Musik rezipieren wollt: Es ist eine Frage der Haltung und der Selektion. Denn die ist wichtig. Meine These: Man stumpft sofort oder zumindest sehr schnell ab, wenn zu viel des gleichen gesehen und gehört wird. Wenn man sich nur in einer Szene und in einem Genre bewegt. Den 1000ten gleichklingenden Indie-Act im Weekender solltet ihr euch besser nicht geben.

Geht vernünftig mit eurem „Kulturrezeptionsvermögen“ um. Meiner Meinung nach gelingt das, wenn es eine Selektion gibt. Eine Konzentration. Eine Fokussierung. Und zwar eine Fokussierung auf Qualität, die sich durch sämtliche Genres und Szenen bewegt und dabei stets genau das auswählt, was mehr oder weniger objektiven Qualitätskriterien entspricht, die natürlich zum Teil auch auf subjektiven Präferenzen fußen. Aber eben nicht nur. Für mich gibt es eine qualitative Schnittmenge, mit der ich mich relativ geschickt in allen Szenen bewege und mich zugleich keiner Szene und keinem Genre verpflichtet fühlen muss. Für mich funktioniert es.

Der „Kultur-Marathon“ in Innnsbruck: Wie überstehe ich eine Woche Kultur (fast) Non-Stop?

Mein Kultur-Marathon, der irgendwann unterwegs, im Tun und im Hingehen, zu einer Art Selbstversuch wurde, startete einigermaßen unvernünftig. Ich ging bereits am Donnerstag aufs New Orleans Festival und sah mir eine Jamiroquai-Coverband an. Ich hätte es besser wissen sollen und musste angesichts der (zu) vielen falschen Töne der an dieser Band beteiligten Sängerinnen bald flüchten um den Promenadenkonzerten einen Besuch abzustatten, die für mich, ja wirklich ernst gemeint, in diesem Sommer DIE musikalische Offenbarung schlechthin waren.

Ich würde sagen: Ja, es lohnt sich einen künstlerischen Leiter zu haben, der wirklich auf künstlerisches Niveau setzt und sich wirklich in seiner Musik auskennt, anstatt wie im Falle des New Orleans Festivals großteils eher auf Klamauk und auf Bands und Musikerinnen zu setzen, die halt gerade Zeit hatten zu spielen und im besten Fall auch in Tirol zu Hause sind. Ist schließlich einfacher und billiger. Was das mit New Orleans zu tun hat, blieb schleierhaft. Aber offenbar fragte ja auch niemand danach.

Dass das „Sara Koell Projekt“ am Freitag dann für sich genommen gut war, ist eine andere Sache. Spielerisch und musikalisch gut, die Sängerin traf souverän alle Töne und Rita Goller glänzte am Keyboard. Über den Rest möchte ich hier lieber nichts schreiben. Der breiten Masse schien´s zu gefallen. Ist ja auch was. Wie es anders geht, wie man Massen anlockt OHNE auf die musikalische Qualität so gut wie zu pfeifen zeigte sich danach bei der Eröffnung des „Fernweh-Festivals“ mit dem Taksim Trio, über das ich schon an anderer Stelle ein paar Worte verloren habe.

Am Samstag verhielt es sich wieder ein wenig anders. Beim „Orgelfest“ waren, der Bestuhlung nach zu urteilen offenbar erwartungsgemäß, die großen Massen ausgeblieben. Lediglich ca. 40 Leute hatten den Weg ins Kurhaus Hall gefunden und wollten sich einen Abend mit Michael König am Harmonium und Michael Schöch am Klavier anhören.

Dabei entfaltete vor allem das Zusammenspiel von Klavier und Harmonium einen Gesamt-Klang, den ich so tatsächlich noch nie gehört hatte. Etwas, das mit viel zu selten passierte. Michael König nahm sich in der Pause außerdem Zeit, das Harmonium und dessen Funktionsweise zu erklären. Ein toller, kostbarer und delikater Abend. Leider für die „happy few“, die sich dafür interessierten. Aber es ist ja auch schön, wenn man „unter sich“ bleibt.

Nachdem ich am Tag darauf den Promenadenkonzerten wieder einen Besuch abstattete und tatsächlich traurig war, dass das der letzte Abend mit dieser für mich wunderlichen aber berührenden Musik war, musste ich am Montag erstmals ruhen. Zumindest in kultureller Hinsicht. Schließlich standen am Dienstag und am Mittwoch zwei weitere potentielle Highlights an: Raquel Andueza bei den „Ambraser Schlosskonzerten“ und Harri Stojka wiederum im Treibhaus.

Von Harri Stojka bis Raquel Andueza: Die Bandbreite an Kultur in Innsbruck ist enorm

Und während Harri Stojka und seine Band mit handverlesenen indischen Musikern ein musikalisches Feuerwerk veranstaltete, musikalisch mit Virtuosität und Spielwitz glänzte war für mich dennoch die Sopranistin Raquel Andueza bei den „Ambraser Schlosskonzerten“ am Tag zuvor die wahre Offenbarung. Wie unaufgeregt, unangestrengt und mit welcher Natürlichkeit und Authentizität sie sich durchs musikalisch anspruchsvolle Programm bewegte, war beispiellos. Ihre Singstimme wirkte, im Gegensatz zu so manch anderen Sängerin in diesem Bereich, nicht künstlich oder gar aufgesetzt. Sondern direkt und dennoch mit allen technischen Finessen versehen, die man sich von einer Sängerin dieser Klasse erwarten konnte. Großartig!

Heute „müsste“ ich dann nur noch den weitum, zu Recht, gerührtem Adam Holzman aus New York im „the early bird“ anhören, dann wäre mein Kultur-Marathon vorbei. Ich werde mir dann ein paar Tage Pause von Kultur und Kunst gönnen.

Wer sich jetzt ausführliche Konzertkritiken oder Abhandlungen über die Konzerte und Veranstaltungen erwartet hatte, ist jetzt vermutlich enttäuscht. Aber darum ging es mir auch nicht. Es ging mir darum, etwas zu behaupten, dass über die individuellen und einzelnen Konzerte hinausgeht. Etwas, das sich universell feststellen lässt: Kultur und Qualität in Innsbruck ist möglich. Ein qualitativ hochwertiges Konzertprogramm, das man sich selbst zusammen stellt, ist denkbar und machbar.

Wenn, ja wenn, man endlich die in Innsbruck recht verbreiteten Tendenzen zur Einigelung in der eigenen Szene und im eigenen Genre hinter sich lässt. Das Szene-Denken in Innsbruck finde ich bedauerlich. Oder haben Sie schon mal jemanden gesehen, der sich eigentlich für „Alte Musik“ interessiert und der dann aber auch ganz lässig beim nächsten Noise-Konzert in der P.M.K. zu sehen ist? Für mich muss Melt Banana und Amandine Beyer kein Widerspruch sein. Beides sind wunderbar musikalische Acts. In Innsbruck sieht man ja nicht mal Leute (oder zumindest kaum), die sich von den heiligen Hallen der P.M.K. ins Treibhaus trauen – und natürlich auch umgekehrt. Damit wird ein Kulturgenuss auf hohem Niveau natürlich fast unmöglich und man wird zwangsläufig viel Durchschnittsware sehen.

So viel dazu. So viel zu meiner Anleitung zum kulturellen Glücklich-Sein. Vielleicht habt ihr eine ganz andere Strategie? Falls ja, würde mich diese interessieren. Gerne könnt ihr es mir aber auch nachmachen, wenn ihr möchtet. Denn Innsbruck hat so einiges zu bieten. Wenn man genau und ohne Scheuklappen hinschaut…

Atemlos durch Innsbruck, oder: Eine Woche Kultur (fast) Non-Stop
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Von in Tirol