„Fernweh“ im Treibhaus Innsbruck: Nichts wie weg!

Ich hasse Innsbruck. Vor allem im Sommer. Die Studenten sind weg, die Straßen leer, Touristen haben die Kontrolle über die Altstadt übernommen und ich muss stetig aufpassen, dass ich es nicht auf ein Foto im nächsten Familienalbum einer japanischen Familie schaffe. Zum Glück gibt es Inseln. Kulturelle Inseln, die mich den Sommer überstehen lassen. Und mein Selbstmitleid meinen Sommer in Innsbruck verbringen zu müssen auf ein Minimum reduzieren.

Im Sommer zeigt sich Innsbruck oberflächlich gesehen nicht von seiner schönsten Seite. Baustellen sprießen wie aus dem Nichts aus dem Boden und machen ein vorankommen mit öffentlichen Verkehrsmittel oder gar mit dem Rad mühsamer als je zuvor. In den Pubs hört man fast nur mehr amerikanisch, weil die New Orleans Summer-School mal wieder angesagt ist und Jahr für Jahr Amerikanerinnen und Amerikaner nach Innsbruck karrt.

Nichts gegen Amerikaner und vor allem gegen Amerikanerinnen. Wenigstens muss ich mir diese Damen abends nicht mehr in ihren schlabbrigen T-Shirts und abgetragenen Sport-Shorts ansehen, denn sie scheinen die Tendenz zu haben, sich zumindest zum Ausgehen adäquat zu kleiden. Aber die Gespräche die man dann oft mithören muss, sind, sagen wir es mal diplomatisch, intellektuell gesehen nicht gerade das Gelbe vom Ei.

Das „Treibhaus“ in Innsbruck: Eine temporäre, kulturelle Insel

Manchmal passiert in Innsbruck aber etwas, das ich gar nicht für möglich gehalten habe. Und in solchen Augenblicken wird auch deutlich, dass ich Innsbruck doch mag. Manchmal. Ein bisschen. Weil es doch hin und wieder für eine Überraschung gut ist und von einer netten Provinzstadt, die sich gerne als Weltstadt sehen würde, zu einem Ort der temporären Internationalität wird. Das passiert im Sommer vor allem auch bei den „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“. Das Konzert von Amandine Beyer bei den „Ambraser Schlosskonzerten“ kann hier stellvertretend dafür genannt werden.

Aber davon soll hier gar nicht die Rede sein. Die Rede soll hier von meinem heiß geliebten Treibhaus sein, das mir schon manchen Sommer in Innsbruck gerettet hat. Mit einem bemerkenswerten Konzept, das eigentlich in sich widersprüchlich ist: Indem ich Konzerte von Acts wie Vijay Iyer, Craig Taborn oder Mostly Other People Do The Killing sah wurde mir bewusst, in welcher musikalischen Provinz wir eigentlich leben. Und wie schlecht und international unbedeutend so mancher Local-Act ist. Und wie sehr ich eigentlich in New York oder sonst wo in der großen weiten Welt leben sollte. Endlich keine Berge mehr, endlich nicht mehr in der Provinz und in der dort auferlegten Mittelmäßigkeit verortet, sondern in einer Stadt voller Möglichkeiten.

Und jetzt wird es paradox: Dennoch haben mich solche Konzerte nie wirklich dazu gebracht ans Auswandern zu denken. Sondern ans Bleiben. Nach solchen Konzerten war ich froh, in Innsbruck zu sein. Ich kann mir das nur so erklären, dass ich eigentlich mit einer wirklich großen Stadt überfordert wäre. Von Hektik, Stress und den ganzen Dingen, die man in einer großen Stadt sonst noch so mit einkauft, wenn man dort lebt: Lärm, Shoppingmöglichkeiten an allen Ecken und Enden, meist die immer gleichen, stinklangweiligen Ketten und Konzerne.

Brauche ich nicht und will ich nicht. Ich will Kultur, Konzerte, Musik! Den ganzen Rest drumherum kann mir gestohlen bleiben. Von mir aus kann die Stadt so klein sein wie Innsbruck. Wenn es nur Orte gibt, die es temporär schaffen, Weltklasse zu bieten, dann bin ich schon glücklich. These: Ich mag die kulturellen Inseln in einer Stadt, die normalerweise gar nicht so kunst- und kulturbeflissen ist. Ich mag es, wenn Dinge entstehen. Trotzdem, wegen allem. Und der Kampf von Norbert Pleifer in Innsbruck TROTZDEM ein Jahresprogramm von hoher Qualität anzubieten, zeigt mir, dass es möglich ist. Das Treibhaus ist mir zu einem Zufluchtsort geworden. Ein „Trotzdem-Ort“. Der in Innsbruck liegt, zugleich aber den Kontext Innsbruck überschreitet und etwas anbietet, das auch anderswo stattfinden könnte. Oder auch zeigt, was Innsbruck noch alles sein könnte.

Das „Fernweh-Festival“ im Treibhaus: Da und doch weg

Das erklärt für mich auch das „Fernweh Festival“, das am 25.07. im „Treibhaus“ fulminant mit dem Taksim Trio gestartet ist. „Am liebsten möchte ich weg sein & bleib am liebsten da.“. Das trifft es für mich auf den Punkt. Eigentlich möchte ich jeden Sommer in Innsbruck weg sein. Und bin es doch nicht. Weil es halt doch was gibt. Und weil es die interessante Möglichkeit gibt, kulturell weg zu sein und zugleich da zu sein. Weil die Option da ist, da zu sein und zugleich ganz weit weg zu sein. Geographisch anwesend.

Aber zugleich öffnete sich beim „Taksmin Trio“ schon mal ein imaginärer Raum, der ganz andere Bilder in meinem Kopf erzeugte. Wer aus einem solchen Konzert geht, der hält den Sommer in Innsbruck besser aus. Weil solche Konzerte nicht zeigen, dass man eben nicht in Istanbul ist und stattdessen in einem verschlafenen Städtchen in Tirol wohnt. Sondern weil es den Blick, auch das ist eigentlich paradox, versöhnlicher macht. Ich sehe Innsbruck viel nach, was nicht rund und gut läuft, wenn im „Treibhaus“ wieder mal so einiges gut, rund und hochwertig läuft.

Beim „Taksim Trio“ zeigte sich auch noch eine andere Sache, die ich mir eigentlich gar nicht erwartet hatte. Beim Betreten des Treibhauses am 25.07. wurde mir bereits klar: Ich hatte noch nie so vieler unserer sogenannten türkischen Mitbürger bei einem Konzert gesehen. Klar, das „Taksim Trio“ ist in der Türkei bekannt. Und der Klarinettist dort gar ein Star. Das Konzert selbst wurde dann zu einem musikalischen Erlebnis. Auch weil viele türkische Fans bei dem einen oder anderen Volkslied mit sangen und die restlichen Besucher, die nicht türkisch sprachen und das Lied nicht kannten, einfach nur gebannt zuhörten. Und wussten, dass Innsbruck in diesem Moment mehr Istanbul als Innsbruck war.

Wunderschön. Berührend. Und absolut richtig. Denn Innsbruck darf nicht Provinz blieben, sondern muss sich temporär verändern, transformieren, öffnen. Aus meiner Sicht gelingt das primär der Kultur und für mich vorrangig der Musik. Musik ist eine Raum- und Zeitkunst. Sie erfüllt den Raum mit Klängen und Sounds für eine bestimmte Zeit. Und diese Klänge können, wenn sie richtig gesetzt sind, ein Möglichkeitsraum sein, der die tatsächlich beschränkten Möglichkeiten des realen Raumes aufhebt, überschreitet und überschreibt.

Exakt das ist für mich die Funktion des „Fernweh-Festivals“: Eine Aufhebung des realen Raumes. Sei es Innsbruck. Sei es das Treibhaus. Für die Augenblicke eines guten Konzertes ist die Ver-Ortung suspendiert und die eigene Verwurzelung ist kein Hemmschuh mehr. In dieser Sache darf ich euch raten, dem einen oder anderen Konzert des „Fernweh-Festivals“ einen Besuch abzustatten. Auch bei Harri Stojka am 30.07. vermutete ich, dass es sich ähnlich wie beim Taksim Trio verhalten wird, wenn er seine indischen Musikerfreunde mitbringt. Ich bin jedenfalls dabei. Und für die Zeit des Konzertes und für die Stunden danach wird mein Blick auf Innsbruck wieder besänftigt. Eine gute Strategie um den Sommer in Innsbruck zu überstehen. Zumindest für mich funktioniert es.

„Fernweh“ im Treibhaus Innsbruck: Nichts wie weg!
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Von in Tirol

  • Helmut Schiestl

    Aber dass Du denn gar nie wegfährtst, lieber Markus! Der Mensch braucht doch Abwechslung. Und je länger man mal die Lüfte fremder Städte geschnuppert hat inklusive dem Parfüm ihrer Bewohnerinnen, auf fremden Plätzen geschaut und gestaunt hat, die fremden Sprachen gehört und nicht verstanden oder nur zum Teil verstanden, Ja, um so lieber kehren wir wieder zurück in unser heimatliches Inns’bruck.

  • Markus Stegmayr

    Lieber Helmut. Doch, doch. Keine Sorge. Ich fahre schon weg. Aber meist erst ein wenig später, wenn der Sommer schon wieder fast vorbei ist. Von daher: Danke Treibhaus 🙂

  • Markus Stegmayr

    Ron: Du nimmst dich da selbst zu wichtig. Wo du Lokalverbot hast und wo nicht ist mir herzlich egal.