Amandine Beyer bei den „Ambraser Schlosskonzerten“: Eine Offenbarung!

Ankunft Schloss Ambras. Strömender Regen. Kaum mehr Parkplätze. Menschenmenschen drängen sich langsam aber stetig in den „Spanischen Saal“ des Schloss Ambras in Innsbruck. Ich bin mitten unter den Leuten, von denen ich die wenigsten kenne. Das Publikum der „Alten Musik“ bleibt mir merkwürdig fremd. Ich betrachte es eher mit Respekt als freundschaftlich. Ich bin nicht Teil dieser „Szene“ und liebe doch seit einiger Zeit „Alte Musik“. Aber was genau fasziniert mich eigentlich an dieser Musik? Und warum schafft es diese Musik, Alltag und Hektik so gekonnt vergessen zu machen?

Nach dem Konzert von Amandine Beyer und „Gli Incogniti“ fange ich einen Gesprächsfragment auf. Der künstlerische Leiter der „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ merkt an, dass es bei dieser Art von Musik um Freiheit ginge. Zumindest glaube ich, er ist es gewesen. Mein Blickkontakt war flüchtig, ich wollte schnell den Saal verlassen, der gut gefüllt gewesen war, vielleicht auch etwas stickig. Ich hatte nur ein Ohr bei diesem Gespräch. Viel eher war ich noch abwesend und an einem anderen, imaginären Ort anwesend: Im gerade geschehenen Konzert.

Ich war, das muss ich so sagen weil mir andere Begrifflichkeiten immer noch fehlen, begeistert. Beeindruckt. Überwältigt. Ich wollte der Anmerkung von wegen „Freiheit“ als Hauptintention dieser Musik begeistert zustimmen. Wenn ich es gewagt hätte mich in dieses Gespräch einzumischen. Denn genau das traf den Punkt: Diese Musik, die so formell, strukturell so mathematisch präzise war und der es so sehr um Balance, Ausgewogenheit und fast schon um emotionales und inhaltliches Kalkül ging, war es letztlich an der Freiheit gelegen. Ganz einfach deshalb, weil diese relative Formgebundenheit es ermöglichte, ganz präzise zu musizieren. Zielgerichtet. Klar. Auf eine Wirkung hin. Und diese Wirkung war tatsächlich am besten mit Freiheit beschrieben: Freiheit von Trauer, Abstumpfung, Melancholie. Freiheit als ein Moment des Sich-Befreiens.

Amandine Beyer: Unvergleichlicher Spielwitz und Virtuosität

Diese Art von Musik, zumal wenn sie von Amandine Beyer gespielt wird die an der Barock-Violine nichts anderes als eine Offenbarung war, hat die präzise und konzise Überwindung der lähmenden Melancholie im Sinn. Sie wird immer wieder tänzelnd, leichtfüßig, schwerelos, schwerstens vergnügt. Wenn diese Musik traurig ist, getragen, ein wenig schleppend aber niemals gelähmt, oder gar lähmend dann fühlt man alle Zwänge und Einschränkungen der Welt. Einschränkung und Einzwängung in den Strukturen, in den Gegebenheiten, in den gesellschaftlichen und formellen Zwängen des sozialen und kulturellen Umfeldes.

Wenn sich diese Musik auflehnt, mit Übermut, Spielwitz und Virtuosität dann behauptet sie, zumindest wenn sie im heute zu uns „spricht“, dass die Situation nicht fatalistisch interpretiert werden muss. Es ist möglich, die Form und die Fassung zu wahren und sich federleicht über Zwänge hinwegzusetzen. Sie umzuwerten, zu seinen Gunsten auszuspielen. Wenn das passiert, dann  lächelt man innerlich und äußerlich. Ist glücklich.

Und das Beste an der Sache. Das alles erzählte diese Musik, unter der Leitung von Amandine Beyer, nur mir. Das Publikum verblasste. Musik wurde an diesem Abend für mich zu einer zutiefst subjektiven und emotionalen Erfahrung. Das Publikum war weit weg. Und mit ihm die möglichen Intentionen, die da sein mochten, an einem solchen Abend die „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ zu besuchen. Darüber möchte ich nicht spekulieren. Vielleicht ging es dem einen oder anderen auch gar nicht um die Musik, sondern darum, sich ein wenig in die Sonne einer Veranstaltung zu begeben, die sowohl Prestige als auch Distinktion versprach.

Vielleicht gab es aber auch Leute, die Amandine Beyer und „Gli Incogniti“ genau so erlebt haben wie ich: als grandiose Interpreten einer Musikform, die merkwürdigerweise im Heute so viel zu erzählen hat, wie sonst kaum eine Musikform. Zumindest mir. Ich könnte stundenlang in ein Zwiegespräch mit den Verzierungen und Strukturen in dieser Musik treten, die sich wie sonst kaum etwas als „Medium“ für tiefe Emotionen und Empfindungen eignet. Warum das so ist? Ich habe nach wie vor keine Ahnung. Ich weiß nur, dass mich zum Beispiel das „Wohltemperierte Clavier“ von J.S. Bach bei jedem Hören, vor allem in der Interpretation von András Schiff, zu Tränen rührt und damit etwas schafft, was andere Musik kaum schafft. Auch an diesem Abend gab es solche Augenblicke, die ich weder begrifflich noch rational fassen kann und möchte. Ich kann sie nur erfühlen und intuitiv verstehen.

Darum verblasst auch bei mir bei der Rezeption von „Alter Musik“ ganz stark das Moment, in dem ich einordne, analysiere, mehr oder weniger gelehrte Abhandlungen über Text und Kontext dieser Musik schreiben will. Das mögen andere tun, die sich damit beschäftigen, was es mit dem Spiel einer Musikerin macht, wenn sie zugleich in der „Alten Musik“ heimisch ist und zugleich über Karlheinz Stockhausen promoviert hat. Das mag man ihrem Spiel anhören. Man muss sich allerdings nicht auf diese intellektuelle Ebene begeben, weil man ihre Vielfalt und eine Schranklosigkeit in ihrem Spiel in jeder Note hören konnte. Die „Alte Musik“ schien für Amandine Beyer ein komplexes Spielfeld zu sein, das sie in jedem Augenblick und in jedem Ton vergegenwärtigt, eben weil sie an Gegenwart und Gegenwärtigkeit dieser Musik glaubt.

Ich tue das auch. Und noch viel mehr Leute sollten das tun. Ich kann nur jedem raten, und das sage ich aus einem tiefen emotionalen Berührt-Sein heraus, sich die weiteren Konzerte der „Ambraser Schlosskonzerte“ anzuhören und sich auch die „Innsbrucker Festwochen der Alten Musik“ auf keinen Fall entgehen zu lassen. Diese Musik kann und bewirkt etwas. Ganz tief drinnen. Wenn man es zulässt und alle Urteile und Vorurteile über Bord wirft.

Amandine Beyer bei den „Ambraser Schlosskonzerten“: Eine Offenbarung!
5 (100%) 1 vote

Von in Tirol