„TyRoll“ aus dem Ötztal: Heimat anders

Franui. Alma. Herbert Pixner. Und jetzt auch noch „TyRoll“. Der kreative Umgang mit der eigenen Herkunft und dem eigenen kulturellen Kontext boomt. Heimat wird hier nicht als statischer Zustand ausgelegt, sondern als ein sich wandelnder Raum, in dem das Verhältnis von Innovation und Tradition stets neu verhandelt wird. Bei „TyRoll“, der Band um Marlon Prantl bei der auch der bekannte Volkskundler Hans Haid ein Wörtchen mitzureden hat, geschieht das auf besonders lustvolle und spielerische Art und Weise.

Sprache ist Heimat. Wer sich in der eigenen Sprache, im eigenen Dialekt ausdrückt der ist mehr zuhause. Wer seinen eigenen Dialekt pflegt und hegt, auch wenn er nicht mehr in dem Tal wohnt, in dem er geboren wurde, der hat immer auch ein Stück Heimat bei sich. Interessant wird es, wenn man auswandert: Der Dialekt und die eigene Sprache werden von der Kultur, von der Gegenwart abgeschnitten und werden tendenziell zu etwas Statischem, Unbeweglichem, Musealem.

Ähnlich agieren wohl auch Traditionalisten in Kultur, Musik und Sprache. Sie ignorieren die Entwicklung von Sprache, der Kultur und der Heimat. Ihnen fehlt das spielerische Moment, der kreative Umgang mit der eigenen Geschichte und mit den eigenen Wurzeln. Kulturelle Räume die als Heimat beschrieben werden können ändern sich, sind nicht resistent gegen äußere und neue Einflüsse. Wenn sich ein Raum nicht verändert, unbeweglich wird, dann lässt sich in diesem auch nur schwer leben. So gesehen engen Traditionalisten den kulturellen Raum ein und machen ihn zu einem starren Ort, der nur für eine kleine Gruppe Heimat bietet.

Das Ötztal: Sprache und Dialekt sind Heimat

Fruchtbar wird es, wenn man sich unter diesen Gesichtspunkten das musikalische Projekt „TyRoll“ ansieht. Marlon Prantl, der musikalische Kopf der Band, behauptet, dass die Ötztaler eine „eigene Sprache“ sprechen. Außerdem ist er der Meinung, dass sich die Sprache natürlich verändert, aber die ÖtztalerInnen letztlich doch auch immer und überall am Klang der Sprache und am Dialekt erkennbar seien. Bemerkenswert ist auch seine Anmerkung, dass sich MusikerInnen aus dem Ötztal historisch gesehen einer Art „Kunstsprache“ bedient hätten, ganz einfach um in Tirol besser verstanden zu werden.

Dahinter steht die implizite Aussage, dass es sich lohnt, den Ötztaler Dialekt zu erhalten. Und auch die Behauptung, dass die Liste der traditionellen Lieder aus dem Ötztal kurz sei, da im Ötztal zwischen ca. 1800 und 1914 musizieren und singen außerhalb der kirchlichen Aufsicht verpönt war, ist entscheidend. Daraus folgt, dass der Ötztaler Dialekt als Teil der eigenen Herkunft und Heimat bewahrenswert und kostbar ist. Und daraus folgt wiederum, aufgrund der geringen Anzahl an traditionellen Liedern aus dem Ötztal, dass diese sogar noch kostbarer und bewahrenswerter sind.

Die Kombination aus dem Ötztaler Dialekt und der Musik, die traditionellerweise aus diesem Tal stammt, wird dadurch zu einer Kostbarkeit, zu etwas Delikatem. Die Musik von „TyrRoll“ geht mit „Material“ um, auf sprachlicher und musikalischer Ebene, das nicht alltäglich ist und deren Bewahrung sich Marlon Prantl, Hans Haid & Co. vorgenommen haben. Auch deshalb, weil die Musik aus dem Ötztal und der damit einhergehende Dialekt auf eine Welt referiert, die ansonsten in Vergessenheit geraten könnte. Wenn dieser Dialekt ausstirbt, dann stirbt zwar nicht das Tal. Aber dieser ganz bestimmten und präzise Bezug zur Heimat, zum Tal und den Dingen und Phänomen im Tal.

Somit ist der musikalische Ansatz von „TyRoll“ präzise zu beschreiben. Wer sich einem gewissen Liedgut bedient und einen gewissen Dialekt benutzt, der stellt sich in eine Tradition. Der behauptet und verteidigt seine Heimat und seinen eigenen kulturellen Kontext. Die Frage ist aber, WIE diese „Verteidigung“ stattfindet. Handelt es sich um das musikalische „Verfahren“ der Bewahrung um jeden Preis, um Musealisierung, die nichts Neues und keine Innovation mehr zulässt?

In diesem Fall gelangt man zu einem Kulturbegriff, der „Neues“ und „Fremdes“ abblockt und ausklammert. Ein Kulturbegriff, der Veränderung und Entwicklung von Heimat ignoriert. Und dem auch das spielerische Moment völlig fehlt. Die Spannung, die sich zwischen Erhalt von Bekanntem und Neuerung und Innovation ergibt, spielt bei diesem Kulturbegriff und bei dieser Art von musikalischem und künstlerischem Verfahren keine Rolle.

Einen anderen Ansatz finden hingegen „TyRoll“, die genau dieses Spannungsmoment zu einer Grundlage ihrer Musik machen. Zum einen findet sich hier der Ötztaler Dialekt, der in seiner Authentizität und Andersartigkeit zelebriert wird. Die Musik, die das ganze mal untermalt, mal unterstützt und mal vorantreibt, bewegt sich in einem Spannungsfeld von Bewahrung und Respekt und von Neuerung und dezenter Respektlosigkeit. Sie ist geradlinig und schräg zu gleich. Sie ist heimatverbunden und beansprucht zugleich Raum, um Heimat überhaupt erst zu erschaffen.Sie beansprucht kulturellen Lebensraum, in dem sich leben lässt und der lebendig ist.

Das Gesamtkunstwerk von „TyRoll“ ist die musikalische „In-Szene-Setzung“ der Heimat und des Ötztals in seiner Tradition, verbunden mit der Öffnung eines Raumes und des „In-Bewegung-Setzens“ der eigenen Heimat. Die Heimat, die „TyRoll“ meinen und beschwören, ist nicht statisch. Marlon Prantl und Hans Haid kennen ihre Heimat wie ihre eigene Westentasche und wissen, wie bewahrenswert und wichtig diese ist.

Zugleich behauptet die Musik auch schon, dass sie Wurzeln hat, diese aber manchmal auch nur dazu benutzt, um Neues zu erschaffen. Der Respekt, mit dem sie sich den Fäden annehmen, aus denen die Heimat gewebt ist, ist dabei bemerkenswert.

Ihre aktuelle CD kann demnächst erworben werden. Unter dem Namen „Drweilong“ kommt sie am 27.06. auf den Markt. Im Rahmen dieser Veröffentlichung kann „TyRoll“ auf live erlebt werden. Eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Selten klang Heimat derartig gut, schräg, leichtfüßig und manchmal auch todernst. Mit einem Wort: Die künstlerische Musik von Franui, Herbert Pixner und Alma (und vielen anderen) hat Konkurrenz bekommen. Und das nicht zu knapp. Das Ötztal und dessen ganz eigene Sprache und Tradition machen´s möglich.

„TyRoll“ aus dem Ötztal: Heimat anders
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Von in Tirol