Marc Pircher Fest im Zillertal: Ein Ritual der Verrohung und Verdummung

Es geschah im Zillertal. Wenn es aber nur so einfach wäre und auch musikalisch so klingen würde wie es Wikipedia suggeriert: Marc Pircher ist ein Musiker der volkstümlichen Szene aus dem österreichischen Ried im Zillertal. Doch hinter diesem einfachen Satz befindet sich ein ästhetischer Abgrund, in dem man lieber nicht schauen möchte.

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“ Das sagt Woyzeck im gleichnamigen Stück von Büchner nur um dann ein bisschen später einen Mord zu begeben und zu beweisen, dass doch einige Abgründe in ihm stecken. Nun bin ich, soweit ich es selbst einschätzen kann, kein potentieller Mörder. Aber wenn mir die falsche Musik vorgespielt wird, dann merke ich immer wieder, dass Abgründe in mir sind, von denen ich bisher überhaupt nicht wusste, dass diese vorhanden sind.

Man könnte auch sagen: Die Musik von Marc Pircher bringt das Schlechteste in mir zum Vorschein. Und ein Amoklauf wird eine ernsthafte Option. Es wäre also anzudenken, mich nicht zum Marc Pircher Fest ins Zillertal zu verfrachten. Besser für mich, besser für die Anwesenden. Obwohl ich ja ohnehin eher zur Autoaggression neige kann ich für nichts garantieren. Vor allem wenn Marc Pircher auch noch auf Semino Rossi trifft. Zu viel ist zu viel. Armes Zillertal. Arme Musikhörer.

Marc Pircher Fest im Zillertal: Gefühl für Gefühllose

Dabei könnte alles so schön sein. Die Biographie von Marc Pircher ist ja auch durchaus sympathisch. Der Bua war offenbar schon früh ein Talent an der Handharmonika und auch seine technischen Fähigkeiten waren gar nicht so übel. Wenn der Bub nur eine gscheite Laufbahn eingeschlagen hätte. Stattdessen ließ er sich vom Herzschmerz einlullen und von den Reaktionen der vermeintlichen Fans täuschen. Fortan spielte immer wieder das Herz als Wort und als leerer Begriff eine Rolle, wie es in der volkstümlichen Musik nun einmal üblich ist.

Vom Herz und vom Gefühl singt man in Wahrheit in der volkstümlichen Musik nur, wenn man dieses Herz und diese Gefühl schon lange verloren hat. Zynismus und kommerzielle Absichten sind Programm, das Gefühl und das Herz nur ein Verkaufsschmäh. Bei mir klingen jedenfalls alle Alarmglocken, wenn eine Platte schon einmal „d´Hauptsach is von Herzen kommt´s“ oder „Von Herzen für dich“ heißt.

Auch für den guten alten Theodor Wiesengrund Adorno war der Schlager, zu Recht, ein Gräuel. Er vermutete hinter der ganzen Gefühlsduselei und dem ganzen Herzschmerz-Getue eigentlich Musik, die für Leute geschrieben und gemacht ist, die eigentlich unfähig sind wirkliche Gefühle zuzulassen und zu empfinden. Musik für Gefühlskrüppel sozusagen. Das Gefühl als Simulation in einem Leben, das eigentlich von Gefühlskälte gekennzeichnet ist. Die volkstümliche Musik ist sozusagen der Phantomschmerz bei Leuten, die zu keinen wirklichen und echten Gefühlen mehr fähig sind. Und Marc Pircher ist dabei ihre Gallionsfigur.

Ein weiteres Beispiel dafür ist „Hey Diandl spürst es so wie i“. Die dauernde Beschwörungen von Gefühlen, die man offenbar spürt oder spüren sollte sind eine temporäre Füllung der Gefühlsleere. Die Konstanz dieser Beschwörung ist ein geeignetes Mittel, um wirkliche Reflexion über die eigene Gefühlsunfähigkeit zu überspielen. In der ständigen Repetition wird das echte Gefühl zunehmend durch das unechte, aufgesetzte und künstliche Gefühl ersetzt. Langsam aber sicher wird dieses als echt, wirklich und authentisch wahrgenommen. Die Maschinerie der volkstümlichen Musik ist eine Maschinerie der Täuschung und der Vorspiegelung falscher Tatsache, die einem den letzten Rest von echtem Gefühl nachhaltig austreibt. Im Zillertal ist diese Maschinerie zum Teil sehr häufig im Einsatz.

Von daher ist das Marc Pircher Fest im Zillertal, das sich Jahr für Jahr wiederholt, ein Ritual, das mich schaudern lässt. Es ist ein Ritual in der Einübung und Bestätigung der eigenen Gefühllosigkeit, die als überhöhtes und überspitztes Gefühl in Szene gesetzt wird. Wenn ich schon im Leben nicht mehr wirklich empfinden kann, dann muss ich mir zumindest einmal im Jahr eine Dosis künstliches und aufgesetztes Gefühl gönnen. Um mich zu vergewissern, dass ich noch fühlen kann. Dabei werde ich aber getäuscht und völlig in die Irre geführt. Denn hinter der Oberfläche der Musik, die sich als gefühlsselig und heimelig inszeniert, stecken die Verrohung und die absolute Inszenierung, die keine Tiefe und keine Echtheit mehr kennt.

Mich schwindelt jedenfalls, wenn ich mir die Musik von Marc Pircher anhöre und wenn ich mir die Abgründe ansehe, die sich dahinter verstecken. Vor allem auch deshalb, weil sie keine Abgründe mehr kennt. Nicht die tiefgründige, abgründige Musik ist das Grauen, sondern eine Musik, die nur mehr Oberfläche und nur mehr schöner Schein ist. Das Schöne wird aber sehr schnell hässlich, wenn man genauer hinsieht und genauer hinhört. Für mich ist diese Art von Musik schlichtweg unerträglich.

Ihr werdet mich also eher nicht beim Marc Pircher Fest im Zillertal antreffen. Außer ich entdecke die masochistische Ader in mir und tue mir das tatsächlich an. Vielleicht schon allein deshalb, ob meine These zu stützen. Aber ich glaube nicht, dass ich es ertragen werde. Das Zillertal hat so viel mehr zu bieten. Da muss man sich dieses schöne toll nicht von dieser Art von „Musik“ verderben lassen.

Marc Pircher Fest im Zillertal: Ein Ritual der Verrohung und Verdummung
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Von in Tirol