Wellness am Achensee, oder: Macht ihr noch Urlaub oder schlaft ihr schon?

Lust auf einen aufregenden Städteurlaub? Oder doch lieber auf einen Ort, an dem man sich ganz seiner Sportlichkeit hingeben und so manchen Berg erklimmen kann, immer mit einem guten Blick für das Abenteuer und die absolute sportliche Herausforderung? Lust auf einen Urlaub, der so abenteuerlich und so voll gepackt mit Aktivitäten ist, dass man danach einen Urlaub vom Urlaub braucht? Nein? Perfekt. Denn ich sage es mit aller Klarheit: Sport und Aktivität is over, baby. Heute fährt man zum Schlafen in den Urlaub. An den Achensee.

Ein Freund erzählte es mir kürzlich. Und ich hätte es beinahe nicht geglaubt. Neuerdings, so behauptete er, fahren die Leute schon zum Schlafen in den Urlaub. Wie er nun mal war ließ er eine ganze Abhandlung über Schlafstörungen folgen und darüber, was für eine Zeit das eigentlich sei, in der Menschen so gestresst seien, dass sie nicht mehr schlafen könnten. Meinen Einwand, dass das aber doch bitte ein wenig einseitig sei und Schlafstörungen vielfältige Gründe haben können, ließ er nicht gelten. Wie immer, wenn er vor Eloquenz nur so übersprudelte.

Er war sich jedenfalls ganz sicher, dass man an den Schlafstörungen und an der Schlaflosigkeit den Zeitgeist einer gestressten und zur Entspannung unfähigen Gesellschaft ablesen könne. Die Gesellschaft sei aus den Fugen geraten und die Unruhe und die damit einhergehende Schlaflosigkeit sei ein Symptom unserer Zeit. Und Wellness sei nur eine temporäre Möglichkeit dieses Gleichgewicht wieder herzustellen. Sozusagen eine Reproduktion von Arbeitskraft, wie er es oft sagte, wenn er mir wieder mal mit Karl Marx und seinen Thesen kam. Ich konnte mir zwar ein Gähnen kaum verkneifen, hörte aber dennoch weiter zu. Der Höflichkeit halber.

Was hat es auf sich mit der Wellness am Achensee?

Wellness sei nur eine Erfindung des Kapitalismus, sagte er, damit die Leute sich wieder für ein paar Tage ein bisschen erholen könnten um dann für die weitere Zeit des Jahres wieder ausgebeutet zu werden. Eine notwendige Kompensation von einer Arbeitswelt sei das, die nicht mehr auf die Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte der Arbeitnehmer einginge, sondern diese konstant nur mehr für menschliches „Material“ hielte, das man ausbeuten und dann wegwerfen könne. Ja, so negativ und aus seiner Sicht scharfsinnig konnte er sein, wenn er mal in Fahrt gekommen war.

Wellness war ihm also schon ein Dorn im Auge. Aber dass die Leute jetzt schon zum Schlafen in den Urlaub fahren, in diesem Fall an den Achensee, das konnte er gar nicht verstehen. Er sah darin die Bestätigung all seiner Thesen über Arbeitswelt und den Arbeitsmarkt, profit over people und so weiter. Der Urlaub war für ihn nur mehr ein letztes Refugium um Ruhe und Schlaf zu finden. Er fand das erschreckend.

Und dabei war der Grund seiner Ausführungen und seines „Sich-in-Rage-Reden“ ein ganz einfacher gewesen. Er hatte von einer Freundin erzählt bekommen, dass sie letztlich in dem Hotel „Post am See“ am Achensee gewesen war. Dort gab es das „Inpulser Schlafsystem“, das, soweit ich das aus seinen Erzählungen noch rekonstruieren konnte (denn er war sehr aufgeregt gewesen), eine Art Audiotherapie war. Man legt sich auf ein Audiokissen, das Klänge von sich gab, die dann das Gehirn in die richtige Stimmung und Schwingung versetzten, sprich: es auf Schlaf einstellten. Jetzt mal so einfach und ein wenig salopp wiedergegeben.

Seine erste Reaktion auf die Erzählung der Freundin war deutlich gewesen. Ob man denn jetzt nicht mal mehr im Schlaf seine Ruhe haben könnte und dauerbeschallt werden würde. Das sei doch genau das Problem, es gebe keine Ruhe und keine Ruhezonen mehr, immer nur erreichbar sein, ständig überall Lärm und Musik. Kein Wunder, dass da keiner mehr schlafen könne. Und jetzt noch dieses lächerliche Schlafkissen, das genau das Gegenteil bewirken wolle. Auch wenn es funktionierten sollte, so meinte er, wäre das Teil des Problems und nicht der Teil Lösung. Weil es kein richtiges Leben im falschen geben könne. Adorno war ihm wichtig, das musste er immer wieder beweisen.

Richtige Wellness im falschen Leben – am Achensee denkbar? 

Obwohl ich ihm das damals nicht sagte und weiterhin mehr oder weniger interessiert zugehört hatte, plädiere ich grundsätzlich für eine Abrüstung der Ideologien. Man muss die Sache ja wohl bitte nicht so derart verkrampft und verkopft sehen. Ich glaube dass zu viel Ideologie und zu verkrampftes argumentieren den Weg versperrt für die Schönheit, die in den Dingen liegt. Auch die Perfektion von einzelnen Augenblicken bekommt man so nicht in den Blick. Und es kann auch einfach mal nur sein, dass ein Ort und ein Konzept stimmig und überzeugend sind. Und: Was täten wir ohne Orte, an denen wir uns entspannen können?

Wir wären noch unentspannter und aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man sehr wohl Entspannung und Erholung in den Alltag mitnehmen konnte und das alles nicht nur eine gefinkelte Erweiterung durch die Wirtschaft war, um uns leistungsfähig zu halten. Der Mensch lebt ja nicht von und für die Arbeit allein. Auch Familie und Kinder profitieren von einem entspannten und ausgeschlafenen Vater.

Im Hotel Post am See wird die Sache jedenfalls ganzheitlich angegangen. Und wer unter Schlafstörungen leidet, der soll doch bitte, warum auch nicht, mal dieses „inPulser Schlafsystem“ ausprobieren. Wenn es nichts nützt, dann hat es zumindest nichts geschadet. Und die Lage vom Hotel war, wie der Name schon sagt, auch kein Fehler. Direkt am Achensee, der mich immer ganz stark an meine Kindheit und an diverse Ausflüge in ebendieser erinnerte. Auch ein gutes Ruhekissen für jemanden wie mich, der es mit dem Schlaf auch hin und wieder nicht ganz so einfach hat. Ich konnte jedenfalls nichts verwerfliches daran finden, mir demnächst, so ganz ohne Kinder, ein paar Tage mit viel Schlaf, Massagen und Wellness zusammen mit meiner Frau zu gönnen. Mein guter Freund würde das wohl anders sehen und mich und meine Haltung verteufeln. Aber er hatte ja auch keinen Sinn für Schönheit und Entspannung.

Das richtige Hotel zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Konzept. Das konnte auch Glück bedeuten. Ich argumentierte vor meinem Freund immer mit „Kairos“. Das akzeptierte er. Und meinem Kurzurlaub am Achensee stand dann nichts mehr im Wege. Für mich war die Sache klar: Es gab richtige Wellness im falschen Leben. Und das war auch gut so.

So, liebe Leserinnen und Leser: Wer hat nun Recht? Mein Freund oder ich? Wie steht ihr zu Wellness und zu solchen Erfindungen, die den Schlaf verbessern sollen? Meinungen erwünscht und erbeten!

Wellness am Achensee, oder: Macht ihr noch Urlaub oder schlaft ihr schon?
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Von in Tirol