„Neue Musik“ in Tirol – eine Spurensuche

Der Titel suggeriert ja, dass „Neue Musik“ in Tirol gespielt wird. Und er suggeriert, dass es so etwas wie „Neue Musik“ überhaupt gibt. Gibt es sie also, die „Neue Musik“ in Tirol – und wenn ja: Wo und in welcher Qualität? Was ist diese „Neue Musik“ überhaupt? Fragen die geklärt werden müssen bevor überhaupt auf „Spurensuchen“ gegangen werden kann.

Auch wenn es banal klingt: „Neue Musik“ ist gar nicht unbedingt neu. Es ist nicht die allerneuste Musik, die sich finden lässt, wenn man ein wenig unter der Oberfläche des sogenannten Mainstreams sucht, dessen Existenz irgendwie auch nur eine Schimäre ist. Der Mainstream könnte dabei als etwas beschrieben werden, das sich im Massengeschmack festgesetzt hat. Etwas, das unveränderlich geworden ist. Es handelt sich um eine Art Struktur und eine Vielzahl von Vorannahmen, die nicht mehr als solche erkannt werden, sondern blind übernommen werden.

Ein paar Beispiele für unhinterfragte Vorannahmen sind z.B., dass Musik in Halbtonschritten funktioniert und wahrgenommen wird. Dass Musik nicht Geräusch ist und sich vom Geräusch durch größere und deutlichere Strukturierung unterscheidet. „Neue Musik“ hingegen stellt das in Frage, arbeitet oft mit Mikrotonalität, Geräuschen oder erhebt das Geräusch gar selbst zur Musik. John Cage zum Beispiel gefiel sich in der Pose, das Straßengeräusch von den Straßen New Yorks, das er in seiner Wohnung hörte, der Musik einer Symphonie vorzuziehen. Ganz einfach weil sich der vermeintliche Lärm, das Geräusch, nicht wiederholte.

Er war der Meinung, dass sich unter der Kohärenz eines Werkes das uns so wichtig geworden war, Chaos befand. „Neue Musik“ steht für Chaos, Wildheit, Auflösung von Strukturen und für die Etablierung von neuen Strukturen, die anderen Regeln folgen. Für die Inkorporierung von „Fremdartigkeit“, von „exotischen“ Skalen, ungewohnten Harmonien und vielem mehr. „Neue Musik“ hat eine ständige Suchbewegung als Grundlage. Sie sucht nach Neuem, nach Ungehörtem, nach Innovation.

„Neue Musik“ in Tirol – wie geht´s, wie steht´s?

Eine weitere Annahme folgt der beschriebenen Radikalität von sogenannter „Neuer Musik“: Sie hat es in Gesellschaften, die eher konservativ sind, ob politisch oder in Sachen Musik und Kunst, eher schwer. Sie wird als Lärm wahrgenommen und verunglimpft. Die Frage ist also, wo und ob diese Musik überhaupt gespielt wird.

Vorab: „Neue Musik“ hat es generell schwer. An den großen Häusern und Opernhäusern wird fast keine zeitgenössische Oper gespielt, die der „Neuen Musik“ zugeordnet werden könnte. Manche Menschen wundern sich gar, dass es solche zeitgenössische Opern überhaupt gibt. Ja, es gibt sie. Sie werden nur so gut wie fast nie gespielt. „Neue Musik“ findet, auch in Tirol, fast überwiegend bei Festivals statt. Es gibt eine kleine, aber sehr feine HörerInnenschaft, die diese Form von Musik mag und zu solchen Festivals auch von weit her anreist. In der breiten Öffentlichkeit findet sie, aus welchen Gründen auch immer, kaum Aufmerksamkeit.

Die Musik gilt als verkopft und elitär. Die Hürden in den Köpfen sind groß. Der Kontakt mit „Neuer Musik“ von Unbedarften findet so gut wie nicht statt. Meine subjektive Wahrnehmung, die auf einer gewissen Erfahrung in dieser kleine „Szene“ fußt, ist ernüchternd. Und doch gibt es die „Neue Musik“ in Tirol. Trotz allem und zwar höchst lebendig.

„Neue Musik“ in Tirol: Die Orte, Initiativen und Festivals

Seit längerer Zeit gibt es bereits des Festival „Klangspuren“. Das Festival ist weit über die Grenzen von Tirol und Österreich hinaus bekannt und renommiert. Hier wird, neben der zum Teil exzellenten Ensembles die eingeladen werden, ein wichtiger Akzent gesetzt: Es gibt immer wieder Kinderworkshops und Projekten, die den Zugang zu der zu Unrecht als sperrige geltenden Musik zu erleichtern. Vorbildlich und definitiv gut.

Ein Problem bleibt, zumindest meinem Eindruck nach: Man sieht zwar viele Gesichter bei der Eröffnung, bei den etwas radikaleren Tendenzen des Festivals schrumpft die ZuhörerInnenschaft aber wieder. Und außerdem hat man das Gefühl, dass viele Leute nicht wegen der Musik da sind, sondern eher deshalb, um sehen und gesehen zu werden. „Neue Musik“ ist in Tirol, und zweifellos auch darüber hinaus, eine Prestigesache. Man gibt vor, etwas zu verstehen und zu mögen, von dem der Otto-Normalbürger keine Ahnung hat. Die perfekte Musik zum Distinktionsgewinn.

Weiters existiert noch die Konzertreihe „Musik +“, hinter der die umtriebige Familie Creapz steckt, die auch Jahr für Jahr das „Osterfestival“ auf die Beine stellt. Hier wird vor allem viel Wert darauf gelegt zu zeigen, dass die „Neue Musik“ und die „Alte Musik“ keine Gegensätze sind. Die „Neue Musik“ wird hier oftmals als eine Erweiterung der Klangsprache ausgelegt, nicht als radikaler Bruch. Beim „Osterfestival“ wird dann zeitgenössische und „Neue Musik“ den Klassikern gegenüber gestellt, organisch, fast natürlich. Dennoch ist die Zuhörerschaft bei den „Klassikern“ größer als bei den Werken und Aufführungen, die sich der „Neuen Musik“ widmen.

Ganze zwei weitere Ensembles sind mir bei meiner Suche nach Ensemble aufgefallen, die sich schwerpunktmäßig der „Neuen Musik“ widmen. Das „TENM“ (Tiroler Ensemble Neue Musik) und das Ensemble „Windkraft. Kapelle für neue Musik“. Beide Ensembles sind, wenn man sich ein bisschen umhört und umschaut, immer wieder in Tirol und vor allem auch in Innsbruck zu hören. Vor allem „TENM“ spielt relativ regelmäßig im Konzertsaal des Innsbrucker Konservatoriums. Dort reicht das Repertoire von „Klassikern“ der „Neuen Musik“ bis hin zu jungen Komponisten, die noch selten oder kaum aufgeführt wurden.

Der Verdienst  von „TENM“ ist auch eine Sichtbarmachung von jungen, aufstrebenden Komponisten, die sich zwar eventuell mit Stipendien oder Kompositionsaufträgen durchschlagen, es aber nicht leicht haben sich in einem Kanon der „Neuen Musik“ zu etablieren. Wenn es die „Neue Musik“ an sich schwer hat, dann haben es junge Komponisten in dieser Musik noch einmal schwerer. Auch im Repertoire von „Windkraft“ findet man viele jungen Komponisten, in der Tendenz wird aber vielleicht etwas mehr auf den Kanon der „Neuen Musik“ geachtet.

Was will ich euch jetzt mit dieser Abhandlung und mit diesen Tipps sagen? Ganz einfach: Es sollte ein kleiner Versuch sein, Musik und Konzerte vorzustellen, die AUCH in Tirol stattfinden. Und es sollt ein kleiner Aufrufs sein, sich mal ein solches Konzert anzusehen. Die Musik ist nämlich zugänglicher und weniger kopflastig, als ihr es euch erwartet. Versprochen. Diese Art von Musik hätte mehr Resonanz und Zuspruch verdient.

Oft genügt es, wenn man über seinen eigenen Schatten springt, seine eigenen Vorurteile über Bord wirft und vor allem eines tut: Zuhören. Und sich überraschen lassen. Die Möglichkeiten dazu liegen in Tirol direkt vor der eigenen Haustür.

Eine kleine Kostprobe kann man bereits diesen Freitag nehmen. Am 06.06. im „Vier und Einzig“!

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Von in Tirol