Matthias Kendlinger und die Tiroler Beethoven-Tage: Menschliches, Allzumenschliches

John Cage schien kein allzu großer Beethoven-Anhänger gewesen zu sein. Seine Musik war ihm wohl zu pathetisch und zu martialisch. Ganz anders hingegen verhält es sich bei Matthias Georg Kendlinger, der die Gesamtleitung der Tiroler Beethoven-Tage innehat. Auch seinen Kompositionen merkt man den Einfluss von Beethoven deutlich an. Am 30.05.2014 gelangen drei seiner Kompositionen zur Aufführungen.

Warum John Cage Beethoven nicht so verehrte wie so manch anderer? Ein interessantes Zitat von John Cage legt eine Spur: „Während jeder rechtschaffene Komponist verstärkt und verdichtet, reduziere ich dagegen immer mehr.“ Einfach gesagt somit: Beethoven war ein Meister der Verdichtung und der Verstärkung. Seine Musik hat Ausdruck, Nachdruck und Pathos. Seine Musik bewegt und berührt. Man könnte auch sagen: Sie zwingt einen förmlich dazu, berührt zu sein. Cage meinte einst sinngemäß, dass er sich zwar gerne berühren, aber eben von der Musik nicht dazu zwingen ließe berührt zu sein.

In „4:33“ hatte Cage diesen Gedanken radikal umgesetzt. Das Stück, welches 4:33 Minuten Stille enthält, zwingt den Hörer zu rein gar nichts, sondern lässt alles offen, lässt ihm alle Freiheit der Welt. Er bietet kein Werk im eigentlichen Sinne mehr an, das den Rezipienten in diese oder jene Richtung zieht. Anders dagegen Beethoven: Seine Kompositionen zerren am Zuhörer, sie legen geschickt Fährten und lassen die ZuhörerInnen oftmals in der Fülle von Kraft und Ausdrucksstärke der Musik auf- und untergehen.

Ich würde auch behaupten, dass die Musik von Beethoven erzählt, somit also narrativ ist. Sie zeigt einem den Weg, baut Spannung auf, hat klare Motive und ist mit einer ausdifferenzierten, klaren und nachdrücklichen Sprache zu vergleichen. Cage ist es, unter anderem, um den Bruch mit dieser narrativen Haltung gegangen. Sein Bestreben ging hin zum Klang, zum Geräusch, zum reinen Ton, zur „Geräuschhaftigkeit“ der Welt und Umwelt.

Damit offenbaren sich Stärken und Schwächen dieser beiden ästhetischen Konzepte, die sich diametral gegenüber stehen. Mit Cage kommt man der Integration des Geräusches in die Musik näher, nähert sich der Welt als Klang. Mit dem Konzept von Beethoven hingegen eröffnet sich eine ganze Fülle an Möglichkeiten des Ausdrucks von Leiden, von Schmerz und von Freude. Der Künstler kann sich in solchen musikalischen „Konstruktionen“ mit seinem Innersten und mit seiner „Seele“ zum Ausdruck bringen.

Bei Mattthias Kendlinger, der sowohl die Agentur „Da Capo“, die „K & K Philharmoniker“ als auch die Tiroler Beethoven Tage leitet ist es zweifellos der Ansatz von Beethoven, der ihn interessiert und in seinem Kunstverständnis und in seiner Kompositionsarbeit leitet. Seinen Auftritten als Dirigent ist anzumerken, dass er berühren möchte und den Menschen etwas „erzählen“ will. In einem Gespräch mit dem ORF merkte er 2011 an: „Wenn wir von dem, was wir hier [auf der Bühne, Anm. MS] fühlen, ein bisschen weitergeben können, sind wir glücklich.“

Es geht ihm, und das ist seiner Musik deutlich anzuhören, um die Weitergabe der ganz großen Gefühle. Seine Kompositionen gehen emotional aufs Ganze. Die erzählerische und emotionale Qualität ist auch schon den Titeln seiner Kompositionen anzumerken: „Der verlorene Sohn“, „Manipulation“, „Heilung“. Keine Abstraktion, nirgends. Vielmehr bereits sehr konkrete Titel, die den Weg vorgeben und den Zuhörer und die Zuhörerin bereits auf eine mögliche Fährte führen. Die Titel wecken Erwartungen auf eine ganz große Erzählung, auf Pathos, auf Nachdruck.

So viel sei verraten: Beim Hören seiner Kompositionen werden all diese Versprechen eingelöst. Die Stücke lassen einen beeindruckt, aber auch ein wenig erschöpft zurück – und glücklich. Ebenso erschöpft und glücklich wie Kendlinger selbst zu sein scheint, wenn er mit seinem Orchester Beethoven auf die Bühne bringen und dieses dirigieren darf.

Einfach könnte auch gesagt werden, dass den Kompositionen von Matthias Kendlinger nichts menschliches fremd ist. Es geht ihm darum, die Abgründe und Emotionen des menschlichen Da-Seins auszuleuchten und zu erforschen. Beethoven ist ihm dabei zweifellos ein wichtiger Wegbegleiter und ein wichtiges Vorbild.

Passenderweise werden, wie bereits anfangs erwähnt, am 30.05. im Stadtsaal Kufstein im Rahmen der Tiroler Beethoven Tage einige seiner Kompositionen zur Aufführung gelangen. Ergänzt werden seine drei Kompostionen mit der Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky.

Diese Aufführung ist eine gute Gelegenheit, die souverän und „geschmeidig“ agierenden „K & K Philharmoniker“ zu hören und zugleich einen ersten Zugang zur Kompositionsarbeit von Matthias Kendlinger zu bekommen. Von meiner Seite her jedenfalls eine dringende Empfehlung, sich das K & K Sinfoniekonzert am 30.05. nicht entgehen zu lassen.

Matthias Kendlinger und die Tiroler Beethoven-Tage: Menschliches, Allzumenschliches
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Von in Tirol