Volksmusik in Südtirol, oder: Darf´s auch ein bisschen Echtheit sein?

Ich habe mir lange überlegt, warum mich beim Anhören von volkstümlicher Musik immer das kalte Grauen packt. Warum ich gegen meine Reaktion mich übergeben zu wollen wenn ich Florian Silbereisen, Semino Rossi & Co. sehe oder gar höre mit zunehmendem Alter immer mehr ankämpfen muss. Und warum für mich diese Art von Musik statt volkstümlich eigentlich volksdümmlich heißen müsste. Endlich habe ich eine Antwort darauf gefunden.

Am Anfang war die Volksmusik. Die sogenannte „echte“ Volksmusik. Diese entstand aus einem bestimmten sozialen Kontext heraus und war das, was ich ein wenig salopp als Gebrauchs- und Funktionsmusik bezeichnen würde. Sprich: Sie wurden zu bestimmten Anlässen gespielt und gegebenenfalls auch auf die Bühne gebracht. Es wurde auch viel in der Familie musiziert, die vielen legendären Musikanten aus der „Hausmusik“ zeigen das sehr gut.

Außerdem wurde natürlich zu allen heiligen Zeiten, bei Festen, religiösen Ereignissen und vielem mehr diese Musik gespielt. Unterstützt und unterstrichen wurde diese enge Verbindung mit dem sozialen und kulturellen Umfeld auch mit der Tracht. Sagen wir es mal so: all das wurde von einem Hauch von Echtheit und Authentizität getragen und in diesen Diskurs eingebettet.

Ein wenig Show, Folklore und Inszenierung ist wohl schon immer dabei gewesen. Im Großen und Ganzen war die Sache aber echt, zumindest nicht nur aufgesetzt und bloßer Schein. Es gab eine Verbindung mit Kultur, Lebensweisen, Festen und Feier des jeweiligen kulturellen und sozialen Umfeldes. Die „echte“ Volksmusik war organischer Teil einer ländlich geprägten Gesellschaft. Auch in Südtirol verhielt sich das lange Zeit so.

 Die „echte“ Volksmusik“ in Südtirol und der „volksdümmliche“ Schlager

Der volkstümliche Schlager ist für mich das genaue Gegenteil von der jetzt beschriebenen Situation. Der volkstümliche Schlager ist künstlich, aufgesetzt, inszeniert, pure Folklore und pure Show. Er kommt nicht aus einem bestimmten Umfeld und ist nicht organisch in dieses eingebettet. Der volkstümliche Schlager ist eine Verkaufsmasche, um einem zunehmend unkritischer werdenden Publikum eine heile Welt zu verkaufen, dieses mit seichter Musik einzulullen und sukzessive zu verblöden.

Der volkstümliche Schlager ist nicht in einem bestimmten kulturellen Kontext gewachsen, sondern er wird von der findigen Plattenindustrie in ein zumeist kleinbürgerliches Milieu verpflanzt um eine heile Welt vorzugaukeln. Besonders empfänglich sind dafür natürlich Leute, deren Welt viel ist, aber ganz sicher nicht mehr heil. Der volkstümliche Schlager ist ein durch und durch kommerzialisiertes Spiel mit Wünschen, Sehnsüchte und Träumen bei dessen Scheinheiligkeit ich kotzen könnte.

Neben all dem hat sich aber, zum Glück, eine mehr oder weniger authentische „Szene“ erhalten, die „echte“ Volksmusik spielt, zu der ich jetzt auch mal ein wenig vereinfachend die Blasmusik zähle, die vielerorts noch genau die von mir beschriebene Funktion einnimmt: Sie ist Funktions- und Gebrauchsmusik, die zu bestimmten festlichen und kulturellen Anlässen gespielt wird. Sie bezieht sich auf Traditionen, Überlieferungen und die eigene kulturelle Prägung. Und ist somit zumindest von dem Vorwurf befreit Volksverblödung zu sein.

Ein paar Sachen sind mir bei meiner Recherche über den Weg gelaufen, bei dem ich meinen Fokus der Einfachheit halber auf Olang in Südtirol gelegt habe: Die Pfarrmusik Olang, die Peter Sigmair Musikkapelle Olang und die „Feirschtamusik“. Nun behaupte ich nicht, dass das in Sachen Volks- und Blasmusik in Südtirol und ganz generell in Sachen Musik der Weisheit letzter Schluss ist. Aber zumindest kann ich mir das anhören, ohne die weiter oben beschriebene Reaktion unterdrücken zu müssen.

Natürlich ist auch die Sache mit der Echtheit, mit Heimat und den eigenen kulturellen Wurzeln auch manchmal eine heikle Sache. Und Nationalismus & Co. nicht immer ganz so fern, wie sie sein könnten. und sollten Andererseits: Warum sollte man echte Volksmusik, Blasmusik & Co. irgendwelchen deutsch-nationalen Deppen überlassen? Ich bin eigentlich nicht bereit das zu akzeptieren.

So, nun ist aber genug von mir „gesudert“: Jetzt seid ihr am Wort, liebe Leserinnen und Leser: Wie geht es auch mit „echter Volksmusik“ oder Blasmusik? Wie mit volkstümlicher Musik? Habt ihr Tipps für interessante Musikerinnen in Südtirol, Tirol und darüber hinaus, die auf kreative Weise mit Tradition und musikalischem „Erbe“ umgehen? Ich freue mich über eure Kommentare!

Volksmusik in Südtirol, oder: Darf´s auch ein bisschen Echtheit sein?
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Von in Tirol

  • Werner Kräutler

    Respekt. Stimme vollinhaltlich zu. Nieder mit den Schnulzen!

  • Mike Dyna

    Hervorragender Artikel.

  • ricci

    lang lebe semino! wer säet, der auch erntet. melodien für millionen! oder aber: wieso denn so grauslich sein? wohl südtirol über alles? na, i bin und bleib zillertaler schürzenjäger fan, jedem diskurs zum trotz.

  • saltinalto

    Volkstümliche, alpenländische Musik gibt es schon sehr, sehr lange. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts sind Zillertaler Musikanten bis nach England und in die USA gereist und haben eine Art „tirolischen Ethnopop“ zum Besten gegeben:die Urversion des heutigen volkstümlichen Schlagers („Tyrolese Minstrels“). Auch damals schon konnte man mit eingängigen Melodien und den Themen Liebe, Heimat und Natur die Herzen der Menschen erobern – und nebenbei viel Geld damit verdienen. Man kann diese Musik mögen oder nicht, fest steht aber: sie funktioniert! Welche Knöpfe hier im menschlichen Hirn gedrückt werden ist doch sehr interessant, oder nicht?

    Hier ein Hörbeispiel aus den späten1920er Jahren, auf Schellack: „Die Gamserln“:

    http://digital.lib.uiowa.edu/cdm/singleitem/collection/tc/id/72/rec/71

    von den „Fiechtls Tyrolean Yodlers, so haben sie ausgeschaut:

    http://digital.lib.uiowa.edu/cdm/compoundobject/collection/tc/id/47124/rec/3