Der Hintertuxer Gletscher, oder: Wie ich mich meinen Abgründen stellte

Ich weiß nicht wie es euch geht: Aber ich verdaue es jetzt gerade mal erst, dass der Sommer vorbei ist, sich der Herbst breit gemacht hat und der Winter schon erste Anzeichen gibt, uns demnächst mit seiner weißen Pracht zu erfreuen. Persönlich bin ich niemand, der den Winter schon herbeisehnt, auch wenn diese Jahreszeit natürlich nicht die unschönste war. Nicht zu verachten diese wunderschönen, verschneiten Hänge, Pulverschnee, Apré Ski und was sonst noch so alles dazugehörte.

Die einzige Sache, die man in dieser Hinsicht beherrschen musste war das Skifahren, denn allein mit dem Apré ohne Ski war es dann doch auch nicht getan. Ich sah es schon kommen, denn diese Beichte ist ja mehr als peinlich: Ich kann, obwohl in Tirol geboren, kaum Skifahren. Ob sich der Hintertuxer Gletscher dann dafür eignet, Skifahren zu lernen? Ich kenne mich damit ja nicht aus, aber ich nehme mal einfach eine Antwort als richtig an: Wohl kaum. Wenn sich die Sache anders verhalten sollte, dann bin ich über sachdienliche Hinweise mehr als froh.

Vor kurzem befanden sich jedenfalls plötzlich Winterfotos (man sehe dazu nur einmal die Fotos in diesem Text an…) in meinen Mail-Posteingang. Und aus irgendeinem Grund blieb ich daran hängen. Vielleicht weil mir diese Bilder vorkamen wie ein Ausblick auf das, was mir demnächst ins Hause stehen würde. Und letztlich war es auch eine Aufforderung, endlich die eigenen Skifahrkünste, wobei ich von „Kunst“ noch sehr weit entfern war, zu verbessern.

Der Hintertuxer Gletscher als DIE Herausforderung

Alle Fotos glichen einem Imperativ, einer radikalen und ausdrücklichen Aufforderung und ließen meine Schmach deutlich werden. Lange Zeit hatte ich dazu geschwiegen und Freund_Innen einfach gesagt, dass der Winter nicht meine Jahreszeit war und wir uns dann einfach später treffen sollten, Abends, in Sicherheit, in einem Lokal. Die grausige Wahrheit wussten nur wenige Eingeweihte, meine besten Freunde, sozusagen der harte Kern, der mit all meinen Schwächen richtig umzugehen wusste. Es war Zeit mich dieser dunklen Seite meiner Persönlichkeit zu stellen und diese endgültig auszumerzen.

Einen Schatten, mit C.G. Jung gesprochen, hatte wohl jeder. Aber als Tiroler dem Skifahren nicht wirklich mächtig zu sein war ein Schatten, mit dem ich nicht länger weiterleben wollte. Die Fotos vom Hintertuxer Gletscher hatten mich angestachelt, meinen Ehrgeiz entfacht. Die Aussicht auf einen Winter ohne Ausreden hatte ihr übrigens getan und mich gleich in den nächsten Stunden in ein Sportgeschäft gezerrt. Es war als zogen mit tausend Hände zu diesem Sportgeschäft. Einen Ort, den ich ansonsten tunlichst zu meiden gelernt hatte. Jetzt war es ein Ort der Herausforderung geworden, eine Hürde, die ich zu meistern hatte.

Jetzt in den Augenblicken in dem ich diesen Beitrag hier schreibe, stunden Skiern und Ausrüstung in meinem „Home-Office“. Die Skiern starrten mich an, grinsten mich an. Doch im Gegensatz zum letzten Jahr grinste ich zurück, da ich wusste, ich würde als Sieger aus dieser Konfrontation hervor gehen. Der Hintertuxer Gletscher wartete schon und ich war bereits, die Herausforderung aufzunehmen. Ich dachte an Woyzeck, der in ebendiesem Stück darauf hinwies, dass jeder Mensch ein Abgrund sei. Ich würde mich meinen Abgründen stellen und mir würde kein Abgrund und kein Abhang zu steil sein.

Die Gegenwart der Herausforderung war sogar noch stärker als zunächst befürchtet, dann ich hatte nicht mehr sehr lange Zeit, genau genommen gar keine mehr. Jeder Augenblick der verstrich, etwa indem ich Texte über die verstreichende Zeit schrieb, war ein Augenblick zu viel. Die Skisaison war nämlich gar nicht in einigermaßen sicherer Entfernung von ein paar Wochen, sondern sie hatten längst schon begonnen, zumal am Hintertuxer Gletscher. Denn der Hintertuxer Gletscher ist das einzige Ganzjahresskigebiet in Österreich. Ich musste also handeln, am besten sofort.

Hotel Tuxertal Heimat

Was war also zu tun? Ich sah es klar vor mir, so klar und deutlich wie sonst selten zuvor: Ich musste ins Zillertal, so schnell wie möglich und meine Skifahrkünste ausbauen bzw. überhaupt erst aufbauen. Ein Hotel hatte ich auch schon gefunden, denn ich würde zweifellos mehrere Tage dazu brauchen. Das „Hotel Tuxertal“ war perfekt für mein Projekt. Wenn ich abends gebrochen nach Hause käme, wartete dann zumindest noch Wellness und Kulinarium vom Feinsten auf mich. So könnte ich mich wieder aufbauen für den nächsten Tage, für etwaige sich wiederholenden Niederlagen.

Die Kunst des Scheiterns kam mir als Formulierung in den Sinn. Zu lange hatte ich mich in dieser Haltung zur Welt und vor allem zum Skifahren zu gemütlich eingerichtet. Diesen Winter würde sich alles ändern. Und der Winter hatte am Hintertuxer Gletscher schon begonnen. Meine Zeit wurde knapp, weshalb ihr mich jetzt hoffentlich entschuldigt… Ich bin dann mal weg, in der Region Tux-Finkenberg. Im „Hotel Tuxertal“ würde man mich finden, falls mir jemand beistehen will…

Der Hintertuxer Gletscher, oder: Wie ich mich meinen Abgründen stellte
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Von in Tirol