Gletscherschmelze hält Archäologen, Kriminalisten und Historiker auf Trab

Das kann ja noch sehr spannend werden. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Gletscherleichen in Tirol aus dem ewigen Eis ausapern. Ötzi war 1991 sicher die sensationellste Mumie. Gletscherforscher und Archäologen erwarten aber weitere, wenngleich weniger spektakuläre Funde. Und das schon in Kürze.

Das Wort ,Gletscherleiche‘ erinnert mich immer an eine der berühmtesten – vor dem Ötzi gefundenen – Gletscherleichen Tirols. Sie war – irgendwie romantisch – in einem Glassarg im berühmten ,Kriminalmuseum‘ des Gerichtsmedizinischen Institutes der Uni Innsbruck bestattet. Es handelte sich um eine Frau, die in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts am Stubaier Gletscher in eine Spalte fiel und erst rund 20 Jahre später von diesem wieder frei gegeben worden war. Die Leiche war paraffiniert, d.h. zu Fettwachs geworden. Und wer damals die Vorlesungen des genialen Innsbrucker Gerichtsmediziners Dr. Franz Josef Holzer hörte, durfte das Museum – und damit auch die Dame in ihrem Glassarg – im Rahmen einer von ihm persönlich geleiteten Führung besuchen. Genau solche Funde werden sich in Zukunft häufen, vielleicht schon in diesem Sommer.

Sicher ist: Der teils dramatische Rückgang der Gletscher in Tirol wird Archäologen, aber auch Kriminologen in den kommenden Jahren vermehrt Arbeit bescheren. In Tirol, d.h. in Nord-, Süd- und Osttirol werden noch etwa 4.000 Mumien unter Eis und Schnee vermutet. Vor allem Soldaten, die im ersten Weltkrieg durch Kampfhandlungen, Unfälle und Katastrophen zu Tode gekommen sind. Aber auch Maschinenteile werden vermehrt ausapern. Wie die Motoren einer JU 52, die bereits im Sommer 2002 von Männern der Bergrettung Prägraten geborgen werden konnten.

Tirol gehört mit den etwa 800 Kleingletschern zu den gletscherreichsten Regionen der Welt. Und diese Gletscher gehen alle zurück. Vor allem in den Ötztaler und Stubaier Alpen nimmt dieser Rückgang bereits dramatische Ausmaße an. Beste Voraussetzungen also, dass die vielen Gletscher ihre letzten Geheimnisse preisgeben.

Dr. Harald Stadler, Leiter des Institus für Archäologien an der Uni Innsbruck ist ein Spezialist für Gletscherleichen samt deren Hab und Gut. „Die verrücktesten Dinge werden zum Vorschein kommen, es ist wie wenn ein Tresor geöffnet wird“, schwärmt er und verweist auf den Fall der Gletscherleiche des „Wilderers“ in Osttirol. Der vom Gletscher teilweise erhaltene Torso wurde bereits 1929 gefunden, ein Foto war der einzige dokumentarische Beleg des Fundes. Stadler hat dann dieses Foto aber sozusagen zum Sprechen gebracht.

Ein Norbert Mattersberger aus Matrei in Osttirol wurde 1839 als vermisst gemeldet. Er war von einem Ausflug in die Berge um Gämsen zu jagen nicht mehr zurückgekehrt. Da er als Knecht eigentlich nicht jagen durfte, wird die Mumie folgerichtig als der „Wilderer“ bezeichnet. Der Bergungstrupp von 1929 entdeckte damals eine Spindeluhr bei der Mumie. Laut den Recherchen von Stadler wurde just diese Spindeluhr damals von der Familie des Toten als Belohnung für denjenigen ausgesetzt, der den Vermissten fände. Und damit war der Fall geklärt.

Derzeit wird an die Einrichtung eines ,roten Telefons‘ für Funde im Hochgebirge in Folge der Gletscherrückgänge gedacht. Ein detaillierter Plan, wie und wo Funde gemeldet werden können, wird noch erarbeitet. Auch spezielle Ausbildungskurse für Gletscherarchäologie und Mumien werden bereits abgehalten. „Wir brauchen gut ausgebildete Leute, die mit den kommenden Funden sicher umgehen können“, meint Stadler. Und organisiert erstmals gemeinsam mit der Europäischen Akademie Bozen (EURAC)  eine Summer School zum Thema „Mummies and Glacial Archaeology“.

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Von in Tirol