Der Klettersteigschein nimmt mir die Freiheit, in den Bergen eigenverantwortlich zu sein. Aber mein zerschmetterter Schädel, weil ich z.B. das mit den zwei Karabinern nicht verstanden habe, nimmt mir keine. Oder? Der Klettersteigschein wertet meinen Sport – und mich – ab, weil sich dann andere auch auf den Berg trauen. Schlechtere als ich, Uncoolere als ich, Flachlandtiroler…
Ja wo sind wir denn?
Im vorletzten Jahrhundert, als der Berg noch unser Feind war, den es im heroischen Kampf zu bezwingen galt? Oder fehlt uns nach Einführung des Klettersteigscheins die Möglichkeit, mit kühnen und überaus heroischen Abenteuern zu prahlen:
“… zurück um keinen Preis … des Haltes beraubt, gleitet der Fuß alsbald zurück, ich komme auf der Platte zu liegen, und der umkippende Block berührt bereits meinen Hut … Wer mit mir geht, der sei bereit zu sterben!”
(Hermann von Barth, Karwendel-Erschließer, zit. nach Heinz Zak, Karwendel, München 1990)
Das meinen die Profis zum Thema: „Die Zahl der gemeldeten Unfälle an Klettersteigen hat sich seit 2000 verdreifacht … ‚Schwierige und lange Steige sind in Mode gekommen‘, sagt Florian Hellberg, Sicherheitsforscher beim DAV. Deshalb begrüßt er den Ramsauer Klettersteigschein.“
Die Welt hat sich geändert, wir auch ein bisschen
Wir leben, das ist allgemein bekannt, im 21. Jahrhundert. Die Berge sind kein Schauplatz übermenschlicher Kämpfe gegen wilde Schrofen mehr. Sie sind Sehnsuchtsort, Erholungsraum und, das vergessen wir ja gerne, Lebensraum. Lebensraum, der nicht mehr nur als feindlich und abweisend wahrgenommen wird.
Wir haben das Recht, unseren Schädel mit einem Helm zu schützen, das haben wir gelernt. Und gottseidank lernten wir noch manches: Ärzte waschen sich die Hände, bevor sie in unseren Eingeweiden herumwühlen, Eltern reden mit ihren Kindern und prügeln ihnen nicht mehr die Seele aus dem Leib, wir stülpen uns einen Gummi über, wenn wir…
Und wir machen den Klettersteigschein, wenn wir erstmals einen Klettersteig begehen wollen. Schließlich haben wir auch gelernt, mit Messer und Gabel zu essen, zu lesen und zu schreiben und uns den Hintern sauber abzuwischen.
Wo da meine Freiheit verlorengegangen sein sollte, muss mir einmal jemand erklären. So schauts aus.
Fotos: Svickova, WarX/Manuel Strehl, Savognin Tourismus
Von Heinz Modlik 2015-06-22 in Gschichten.com
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