Kulinarik und Moral, oder: Kulinarisches Wandern in Serfaus-Fiss-Ladis

Bertolt Brecht ist immer wieder für das eine oder andere schöne Zitat gut. Vor allem „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ ist weitum bekannt. Im Heute ist das eigentlich überholt und hat sich umgekehrt: Zuerst kommt die Moral, dann das (Fr)essen. Das hat mehr mit den kulinarischen Wanderungen in Serfaus-Fiss-Ladis zu tun, als man auf den ersten Blick vermutet.

Der gute Bertolt hatte mit obiger Aussage wohl vor allem eines im Sinn. Er wollte darauf hinweisen, dass sich der Mensch mit ziemlicher Sicherheit zuerst um sei eigenes Wohlergehen und seine eigenen Grundbedürfnisse kümmert, bevor so etwas wie Moral überhaupt erst entstehen kann. Sprich: Zuerst muss er zumindest mal satt sein, damit er überhaupt darüber nachdenken kann, ob es andere Menschen gibt, die vielleicht nicht satt sind.

Ich will aber auf etwas anderes hinaus. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass sich die Aussage von Brecht im Heute umgekehrt hat: „Zuerst kommt die Moral, dann das Fressen.“ Ich habe nämlich so den Eindruck, dass man im Heute ein moralischer und „guter“ Mensch sein muss, der den Hunger anderswo immer schon mitdenken muss, wenn er sich kulinarischen Höchstgenüssen hingibt.

Ist es eigentlich überhaupt legitim, dass wir in einem derartig gastronomisch ausdifferenzierten Land leben, in denen wir uns Gedanken über Dinge machen, über die andere, die hungern, nur lachen könnten? Wir machen uns Gedanken über geschmackliche Feinheiten und über kulinarische Spitzfindigkeiten, während es anderswo am Notwendigsten in Sachen Nahrung und Ernährung fehlt.

Kulinarik und Moral oder: Wandern in Serfaus-Fiss-Ladis

Es ist zunächst ein Faktum, dass wir in Überfluss leben und dass wir uns in Details in Sachen Kulinarik verlieren, die anderswo keine Rolle spielen. Die Frage ist aber: Müssen wir das immer im Hinterkopf haben, wenn wir genießen? Es ist zumindest in der Kausalität ein überzeugendes Argument, dass wir ein kulinarisch so ausdifferenziertes Angebot haben, weil wir eben schon lange keinen Hunger mehr haben. Unsere Gedanken verlagern sich von grundlegenden Fragen der Ernährung und des Überlebens hin zu Spitzfindigkeiten und Feinheiten, um die sich nur Menschen kümmern können, die Hunger gar nicht (mehr) kennen.

Müssen wir uns schuldig fühlen, weil wir lieber genießen anstatt das Ungleichgewicht der Welt verändern zu wollen? Muss die Moral immer an Bord sein und sich in unseren absoluten, unverfälschten und „amoralischen“ Genuss einmischen?

Ich behaupte: Definitiv nein! Wir müssen uns nicht Schritt auf Tritt schlecht fühlen, nur weil wir die Möglichkeit haben, gut zu essen. Wir müssen uns bei unserer nächsten kulinarischen Wanderung und Serfaus-Fiss-Ladis nicht unwohl fühlen, weil wir jetzt den kulinarischen Genuss schon aus den Hotels und Restaurants dieser Welt auslagern und nach immer neuen Möglichkeiten suchen zu genießen und zu schmecken. Angebote wie dieses in Serfaus-Fiss-Ladis sind lediglich Ausdruck einer um sich greifenden, sich immer mehr verästelnden Differenzierung des „Systems“ Ernährung und Kulinarik.

Ein System, das mit der Zeit zunehmend komplexer wird, sucht nach immer mehr Möglichkeiten, sich zu entwickeln. Und hat dabei zugleich natürlich auch das Problem, für die Menschen interessant zu bleiben. Wir alle sind Teil dieses „Systems“ Kulinarik und wir haben alle schon sehr viel gekostet, probiert und erfahren. Den kulinarisch gebildeten Menschen kann nichts mehr so schnell vom Hocker hauen. Und wenn die Möglichkeiten im geschmacklichen Bereich schon fast ausgeschöpft sind, dann muss halt der Ort, der Kontext des Genießens, verschoben und erweitert werden. Die „Kulinarik-Wanderung“ in Serfaus-Fiss-Ladis kann definitiv in diesen Bereich eingeordnet werden.

Was ich sagen möchte: Haltet mir die Moral raus aus dem System Kulinarik! Genuss ist amoralisch. Genuss kann meiner Meinung nach nur unter der Kategorie des Geschmacks gefasst werden, nicht unter Kategorie der Moral, die immer wieder politisch und fast schon klassenkämpferisch konnotiert ist. Wenn ich mir z.B. über biologische Lebensmittel Gedanken mache, dann unter dem Gesichtspunkt der Qualität und des Geschmackes. Menschen, die ihre Moral nicht mal beim Genießen ablegen können, nerven mich eigentlich unsäglich.

Wenn ich genieße, dann genieße ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich politisiere, dann politisiere ich. Wenn ich wandere, dann wandere ich. Wie zum Beispiel demnächst in Serfaus-Fiss-Ladis. Jedenfalls ist am Zitat von Brecht dann im Heute für mich doch noch was dran: „Erst kommt das fressen, dann die Moral“. Ich würde es anders sagen: Moral hat beim Essen (für mich) nichts zu suchen. Die Welt verändern kann und sollte man auf einer anderen Ebene.

Kulinarik und Moral, oder: Kulinarisches Wandern in Serfaus-Fiss-Ladis
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Von in Puint