Tiroler Gastfreundschaft – Der Mensch zählt

Ich weiß. Es ist zwar sehr kurzfristig, aber am Sonntag kommen neun Gäste aus Abu Dhabi. Hast du Zeit, und könntest du sie eine Woche lang betreuen?“

Einem Tiroler Unternehmer hatte ich für die Kundenbetreuung meine Dienste als Bergwanderführer angeboten. „Natürlich, gerne“, hab’ ich gesagt (auch deshalb, weil ich mir kurz zuvor ein persönliches Bild über ein islamisches Land – den Iran – gemacht habe und mir dadurch Einiges vertraut war). Mir war bekannt, dass man einer Frau nicht die Hand gibt und sie ab der Pubertät Kopftuch oder Schleier trägt. Ebenso, dass mehrmals am Tag gebetet sowie auf Schweinfleisch und Alkohol verzichtet wird.

Einen Tag nach diesem Anruf hatte sich herausgestellt, dass nicht neun, sondern 19 Araber im Bergsteigerdorf Ginzling wohnten: Es war eine Großfamilie mit Großeltern, Kindern und Enkeln, aufgeteilt auf zwei Häuser. An mir lag es jetzt, diese sieben Tage mit leichten Wanderungen und Ausflügen zu füllen.

Tiroler Gastfreundlichkeit: Alle sollen Spaß haben, unvergessliche Dinge erleben und sich wohlfühlen

„Was werde ich ihnen zeigen? Wie gestalte ich jeden Tag abwechslungsreich und besonders für die Kinder mit möglichst viel Spaß bzw. Bewegung?“ Ebenso schnell, wie das Unterländer Unternehmen ein weiteres Taxi organisiert hatte, war für mich das Gestalten des Wochenprogramms kein Problem. Seegrube und Bergisel-Schanze hatte ich mir notiert. Auch das Obernbergtal und eine Runde um den Schwarzsee in Kitzbühel. Es waren mir aber auch andere Dinge wichtig.

Tiroler Gastfreundlichkeit: Alle sollen unvergessliche Dinge erleben und sich wohlfühlen
Tiroler Gastfreundlichkeit: Alle sollen unvergessliche Dinge erleben und sich wohlfühlen

„Haben Sie auf Ihrer Speisekarte Gerichte ohne Schweinefleisch oder ohne alkoholhaltige Zutaten? Gibt es eine Möglichkeit, in einem separaten Raum zu essen?“ Damit wollte ich die Araber auf keinen Fall abschotten, sondern vielmehr ein angenehmes Essen – insbesonder den Frauen ohne Schleier – ermöglichen. „Selbstverständlich geht das. Wir freuen uns sehr“. Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet, und bekam es nicht nur einmal, sondern öfter zu hören. Eine Kellnerin hätte die Kinder – oder zumindest ein paar davon – wohl am liebsten behalten. Waren irgendwo Brunnen, Bach oder See … war der Tag geritzt. Auch ihr Fußball war nicht weit.

„They feel well and happy!“

Viele tolle Momente mit diesen Menschen aus einem anderen Kulturkreis
Viele tolle Momente mit diesen Menschen aus einem anderen Kulturkreis

Obwohl die Familie selbst 200 Kühe, einige Ziegen und 50 Kamele hält – in der Oase Al Ain 60 km außerhalb von Abu Dhabi Stadt – war eine Führung durch die Erlebnis-Sennerei Zillertal mit der Verkostung von Milch, Joghurt und Käse ein idealer Auftakt. Fische beobachten, Enten füttern, im Schatten der großen Bäume im Matzenpark ein paar Stunden ausspannen und anschließend Pizza-Essen am Achensee: Verweilen im Grünen und am Wasser, das lieben Gäste aus den Golfstaaten. Waren am Hinweg die Kleinen nicht zu überhören, war es bei der Rückfahrt meist ruhig. „They are tired and happy“ meinte Abdullah, der jüngere Sohn der Familie.

Es spielt keine Rolle, ob Menschen an Jesus Christus, Allah, oder Buddha glauben – Nur der Mensch zählt

Am spannendsten war für alle der Ausflug zum Hintertuxer Gletscher. Weil es in Abu Dhabi keinen Schnee gibt, auch wenig verwunderlich. „Nehmen Sie Platz. Davon müssen Sie unbedingt probieren“, sprach Saeed, der ältere der beiden Söhne beim anschließenden Picknick am Tuxbach. „Meine Mutter hat es gestern gekocht: Reis in Thunfischsauce mit Hühnerfleisch und Salat“. Gewürzt mit Salz, Pfeffer und Kardamon schmeckte es ausgezeichnet. Ich glaubte, auf dem Naqsh-e Jahan (dem Königsplatz) in Isfahan zu sein. Dort hat man uns im Mai Tee, Fladenbrot und Schafskäse angeboten.

(Groß-)Vater Mohammed und seine Frau waren vom Leben der Bauern und den alten Häusern beeindruckt
(Groß-)Vater Mohammed und seine Frau waren vom Leben der Bauern und den alten Häusern beeindruckt

Gastfreundschaft und Herzlichkeit waren also nichts typisch Persisches. Notabene: Die Zutaten für dieses Gericht hatten sie in einem türkischen Supermarkt in Schwaz gekauft. Mit dem Kochen für einen winzigen Bruchteil ihrer Familie, für mich und Taxifahrer Hannes war die Frau übrigens noch gut bedient, denn zuhause in Abu Dhabi trifft sich die gesamte Familie Freitag für Freitag zum Essen. Sie und ihr Mann, ihre 13 gemeinsamen Kinder und Schwiegerkinder sowie nicht weniger als 50 Enkelkinder müssen verköstigt werden. Bei derart großen Familien müsste in Tirol wohl keiner Schule angst und bange vor einem möglichen Zusperren sein. So wie in den Emiraten könnte man mit zwei, drei solcher Großfamilien wohl schon fast eine Privatschule führen.

(Groß-)Vater Mohammed und seine Frau waren vom Leben der Bauern und den alten Häusern im Höfemuseum Kramsach beeindruckt, während iPad und Smartphone der Enkel völlig uninteressant waren. Zusammen mit ihren Eltern war es für sie ein Genuss, am dortigen Waldspielplatz ihrer täglichen Ration Bewegung nachzugehen. Ihre Augen leuchteten, die zweijährige Shama sang beinahe den ganzen Tag.

Höhepunkte erleben – Wo sich Kulturen begegnen

Gemeinsames Picknick in der Nähe des Aalsees bei Obernberg am Brenner
Gemeinsames Picknick in der Nähe des Aalsees bei Obernberg am Brenner

Ein gemeinsames Picknick in der Nähe des Aalsees bei Obernberg am Brenner, ein Besuch des Lengauhofs in Ginzling mit Käseverkostung und einer Führung durch den Hof sowie Ausflüge zu den Krimmler Wasserfällen, zum Schlegeisspeicher im Zillertal und zur Klausenalm in Ginzling waren weitere Höhepunkte für wunderbare Menschen aus dem Morgenland.

Ein Ausflug nach Zell am See stand ebenfalls auf dem Programm. Apropos Zell am See: Schleier, arabische Schriftzeichen und gewisse Speisen gehören dort seit einigen Jahren zum Erscheinungsbild. Natürlich gibt es auch manchmal Reibungspunkte, aber man versucht nicht ständig das Fremde in den Vordergrund zu stellen.

„Du hast tolle Arbeit geleistet. Wir haben uns wohl gefühlt und freuen uns schon sehr, dir unsere Heimat zu zeigen“, bedankten sich Abdullah, Saeed, Vater Mohammed und ihre Frauen, bevor sie ein eigens gecharterter Bus aus Rosenheim zum Flughafen nach München brachte. Die positive Resonanz der Besucher aus Abu Dhabi wirft unweigerlich die Frage auf, ob man sich auch in Tirol auf diese Gäste konzentrieren sollte.

Wasser ist Leben: Ausflug nach Zell am See
Wasser ist Leben: Ausflug nach Zell am See

Während ich mit der Großfamilie unterwegs war, gab es viele unvergessliche Momente mit diesen Menschen aus einem anderen Kulturkreis. Für den Umgang miteinander ist nicht mehr nötig, als gegenseitige Achtung und ein bisschen Toleranz.

Leider werden Menschen aus orientalischen Ländern meist nur auf Glauben oder Aussehen reduziert. Ist ja auch viel einfacher. Dabei sind es nicht Schleier oder Kopftuch von Arabern oder Menschen anderen Glaubens, die einen Blick über den gewöhnlichen Horizont hinaus erschweren. Ein Schleier im eigenen Kopf verhindert einen anderen Blick. Also: Raus damit und durch. Ganz einfach!

Tiroler Gastfreundschaft – Der Mensch zählt
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Von in Gschichten.com